Wie sich soziale Ungleichheiten in der Coronakrise abfedern lassen
Ende März 2020 verabschiedeten Bundestag und Bundesrat im Eiltempo ein Gesetzespaket zur Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Kernelement des Gesetzespakets ist das Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket).
Sozialschutzpaket kommt an
Mit dem Sozialschutzpaket hat die Bundesregierung zügig reagiert und wichtige Regelungen getroffen, um soziale Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Viele dieser Neuregelungen sind zu begrüßen, insbesondere der erleichterte Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die Erleichterungen beim Kinderzuschlag und der Sicherstellungsauftrag für soziale Dienstleister. Auch die finanzielle Soforthilfe (steuerbare Zuschüsse) für Kleinstunternehmen, Soloselbständige und Freiberufler für drei Monate zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und Überbrückung akuter Liquiditätsengpässe ist zu befürworten.
Sozialstaat ist vorbereitet
Die weitreichenden Hilfen zeigen, dass der deutsche Sozialstaat vorbereitet ist, um auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie angemessen zu reagieren. Von zentraler Bedeutung ist, eine möglichst unbürokratische Umsetzung der Regelungen sicherzustellen. Zudem muss sorgsam beobachtet werden, welche weiteren Bedarfe bestehen.
Trotz der begrüßenswerten Zugangserleichterungen darf nicht aus dem Blick geraten, dass selbst angestellte Arbeitnehmer*innen, die im Notfall durch das Kurzarbeitergeld aufgefangen werden, mit ungedeckten Einnahmeausfällen zu kämpfen haben. Das Kurzarbeitergeld liegt bei einer Nettoersatzrate von nur 60 bzw. 67 Prozent des vorherigen Verdienstes. Ferner droht die Gefahr, dass sich der Zugang zu Leistungen mit Blick auf die eingeschränkte Erreichbarkeit vieler Sozialbehörden und begrenzte Sozialberatung verschärft. Besonders wichtig ist deshalb, dass der Sozialstaat jetzt für alle unbürokratisch funktioniert!
Handlungsbedarf bei Hartz-IV-Regelsätzen
Weiter Handlungsbedarf zeigt sich bei der Höhe der Hartz-IV-Regelsätze: Viele Menschen, die Sozialleistungen beziehen, haben nur sehr begrenzte Mittel für den Lebensmitteleinkauf zur Verfügung.
Gleichzeitig sind in der Corona-Krise besonders preiswerte Waren vergriffen. Auch bei den Tafeln sind deutliche Auswirkungen durch die Ausbreitung des Corona-Virus zu spüren. Viele Tafeln haben als Folge sogenannte „Hamsterkäufe“ besorgter Bürger*innen weniger Lebensmittel für die Weiterverteilung an Bedürftige zur Verfügung. Das betrifft neben langhaltbaren Produkten wie Nudeln oder Reis auch frische Lebensmittel. Darüber hinaus bleiben viele Tafeln geschlossen.
Die Regelsätze sind zu knapp bemessen, um Corona-bedingte Mehrkosten in der Grundversorgung aufzufangen. Sinnvoll wäre deshalb eine Corona-Notfallhilfe in Form eines zeitlich begrenzten, pauschalen Zuschusses zu den Regelsätzen. Dabei sollte die finanzielle Situation von einkommensarmen Familien besonders in den Blick genommen werden.
Digitale Kommunikation muss alle erreichen
Im Zuge des derzeitigen Kontaktverbots und vereinzelt weitergehender Ausgangssperren muss die gesellschaftliche Teilhabe durch internetfähige Geräte sichergestellt werden. Bereits heute besteht im Regelbedarf eine Unterdeckung bei der digitalen Teilhabe. Lediglich die Verbrauchsposition „Nachrichtenübermittlung (Post, Telefon, Internet)“ ist enthalten. Von den dortigen Summen lassen sich jedoch keine Geräte für die digitale Kommunikation anschaffen. Denkbar wäre deshalb, Menschen im Sozialleistungsbezug eine einmalige Leistung zum Kauf eines Laptops oder Computers zu gewähren.
Ungleichheiten abfedern
Hinzu kommt, dass viele Kinder aus einkommensarmen Haushalten die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket durch das Kontaktverbot nicht in Anspruch nehmen können. Die Pauschale sollte deshalb niedrigschwellig als Geldleistung ausgezahlt werden. Auf diese Weise könnte ein wichtiger Beitrag dafür geleistet werden, dass sich Ungleichheiten in den Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen nicht weiter verschärfen.
ist Diplom-Soziologe und arbeitet seit 1978 bei der AWO. Seit 2010 ist er Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt und Geschäftsführer der ElternService AWO GmbH.