Meinung

Wie eine gerechte Steuerpolitik in Zeiten des Wandels aussieht

Die FDP will Unternehmen entlasten und im Gegenzug Ausnahmen beim reduzierten Mehrwertsteuersatz abschaffen. Letzteres würde vor allem die hart treffen, die viel für den Konsum ausgeben müssen: untere Einkommen. Dabei gibt es bessere Alternativen.
von Gustav Horn · 12. März 2023
Sieben statt 19 Prozent: Die ermäßigten Sätze bei der Mehrwertsteuer dienen dazu, zum Leben wichtige Güter wie Lebensmittel steuerlich relativ günstig zu stellen.
Sieben statt 19 Prozent: Die ermäßigten Sätze bei der Mehrwertsteuer dienen dazu, zum Leben wichtige Güter wie Lebensmittel steuerlich relativ günstig zu stellen.

Jüngst sorgte die FDP wieder einmal mit steuerpolitischen Vorschlägen für Aufsehen. Wenig überraschend fordert sie eine Senkung der Unternehmenssteuer. Überraschend war dagegen der Vorschlag zur Gegenfinanzierung, indem der ermäßigte Steuersatz bei der Mehrwertsteuer zumindest für einige Produkte gestrichen und diese künftig mit dem Normalsatz von 19 Prozent besteuert werden sollten. Der letzte Vorschlag ist schon insofern überraschend als dass die FDP bislang jede Form von Steuererhöhungen abgelehnt hat. Jetzt also doch. Warum aber dies alles und vor allem: Ist dies sinnvoll und gerecht?

Warum die Unternehmen im Fokus stehen

Vor dem Hintergrund des fundamentalen Umbruchs, in dem unsere Wirtschaft derzeit steht, stellt sich zweifellos die Frage nach den angemessenen steuerpolitischen Konsequenzen. Dass dabei die Unternehmenssteuern in das Blickfeld geraten, ist zwangsläufig. Die Unternehmen werden die Hauptlast der Investitionen in nachhaltig produzierende Technologien zu tragen haben. Daher ist es sinnvoll, wenn das Steuersystem ein entsprechendes Verhalten spürbar belohnt.

Dies ist sogar im Koalitionsvertrag vorgesehen. Dort ist zwischen den Koalitionspartnern ein Superabschreibungsgesetz vereinbart, das Unternehmen durch eine Investitionsprämie (Superabschreibung) steuerlich merklich entlastet, wenn sie Investitionen in Wirtschaftsgüter vornehmen, die der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft dienen. Das ist der richtige Weg, richtige Anreize zu setzen. Diese wirken im übrigen umso so stärker je höher der Steuersatz ist, den Unternehmen ohne diese Abschreibungen zahlen müssten, weil unter diesen Voraussetzungen die Steuerersparnis durch Umweltinvestitionen am höchsten ist.

Daher wären nicht allgemeine Steuersenkungen für Unternehmen das Gebot der Stunde, sondern die Verabschiedung des ohnehin vereinbarten Superabschreibungsgesetzes. So hat es der amerikanische Präsident Biden in seinem Inflation Reduction Act (IRA) übrigens vorgemacht.

Umverteilung von unten nach oben

Wenn man steuerlich entlasten und gleichzeitig – wie die FDP – die Schuldenbremse  einhalten will, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Gegenfinanzierung. Da ist der Blick der FDP nun auf die ermäßigten Sätze der Mehrwertsteuer gefallen. Das aber ist nun die falsche Blickrichtung. Die ermäßigten Steuersätze dienen dazu, zum Leben wichtige Güter wie Lebensmittel steuerlich relativ günstig zu stellen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier nicht zuletzt wegen intensivem Lobbyismus von Branchenverbänden zwar ein gewisser Wildwuchs herausgebildet, aber im Kern soll der ermäßigte Satz nach wie vor Lebensmittel relativ günstig halten.

Dies ist vor allem für Haushalte mit niedrigen Einkommen sehr wichtig. Sie geben einen vergleichsweise großen Anteil ihres Einkommen genau für diese Güter aus. Für Haushalte mit hohem Einkommen, die zudem viel sparen können, ist eine höhere Mehrwertsteuer nur von geringer Bedeutung. Eine Anhebung dieser Steuersätze wäre daher schon für sich genommen eine Umverteilung von unten nach oben. In Kombination mit niedrigeren Steuersätzen für Unternehmen, von denen fast ausschließlich höhere Einkommen profitieren, wäre dies, gerade angesichts der aktuellen Belastungen durch die Inflation ein zutiefst ungerechtes Steuerprogramm.

Solidarität ist die entscheidende Kraftquelle

Würde man sich mit Blick auf die Mehrwertsteuer darauf beschränken, nur den Wildwuchs zu durchforsten, wäre dies schon wesentlich sinnvoller. Noch besser wäre es, wenn man steuerliche Maßnahmen vor dem Hintergrund der Belastungen, die durch den tiefgreifenden Umbruch in unserer Wirtschaft entstehen, sehen würde. Inflation, der Krieg in der Ukraine und der Gang ins post-fossile Zeitalte belasten den Wohlstand unser Volkswirtschaft insgesamt, besonders aber den ohnehin bescheideneren der mittleren und niedrigeren Einkommen. Daher wäre deren steuerliche Entlastung sinnvoll, während hohe Einkommen und Vermögen in dieser unsicheren Zeit auch etwas höhere steuerliche Lasten tragen könnten. Vor allem die ökonomischen Gewinner des Wandels sind hierzu mühelos in der Lage.

Ein solches Steuerpaket könnte man mit Recht solidarisch nennen. Wie gerade der jetzt zu Ende gehende Winter zeigt, dessen gewaltige und zuvor unbekannte Herausforderungen dank der vielfältigen Maßnahmen der Bundesregierung relativ glimpflich überstanden wurde, ist Solidarität die entscheidende Kraftquelle, mit der wir auch die künftigen Herausforderungen bestehen können. Das weiß auch die FDP.        

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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