Meinung

Was für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik wichtig ist

Die SPD will eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik, die die Perspektiven marginalisierter Gruppen einbezieht und patriarchale und postkoloniale Strukturen aufbricht. Diskriminierungen dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden.
von Yasmina Alaoui · 4. Mai 2023
Intersektionalität ist der Schlüssel: In einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik dürfen Diskriminierungsformen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Intersektionalität ist der Schlüssel: In einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik dürfen Diskriminierungsformen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität: Die strukturelle Bekämpfung von Ungleichheiten liegt in der DNA der Sozialdemokratie. Seit 160 Jahren kämpfen Sozialdemokrat*innen für die Möglichkeit aller, selbstbestimmt zu leben, für gleichberechtigte Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Forderung der Kommission Internationale Politik (KIP) in ihrem Positionspapier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“, „dass eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik alle Mitglieder einer Gesellschaft in den Blick nimmt und auf die Überwindung patriarchaler und postkolonialer Machstrukturen dringt“, ist daher ursozialdemokratisch und deutet auf eine intersektionale Perspektive hin. Der intersektionale Ansatz bleibt jedoch unerwähnt.

Was bedeutet Intersektionalität?

Das Konzept der Intersektionalität wurde in den 1980er Jahren von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw entwickelt, um darauf hinzuweisen, wie verschiedene Diskriminierungsformen zusammenwirken und einander verstärken können. Damals beschrieb Crenshaw bezugnehmend auf das englische Wort intersection (Kreuzung) die Unterdrückungserfahrung, die Schwarze Frauen sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch aufgrund ihrer Hautfarbe machten. Heute wird das Konzept verwendet, um die Gleichzeitigkeit verschiedener Formen von Diskriminierung wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie, Ableismus und Klassismus darzustellen.

Was das konkret bedeutet? Schwarze Frauen haben eine andere Lebensrealität als weiße Frauen, weil sie nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden. Sexismus und Rassismus wirken hier also zusammen. Auch ein Schwarzer homosexueller Mann hat eine andere Lebensrealität als ein weißer, da Homophobie und Rassismus sich gegenseitig verstärken. Viele Gegner*innen der sogenannten Identitätspolitik werfen progressiven Aktivist*innen und Politiker*innen, die sich für intersektionale Politik einsetzen, vor, sie würden die soziale Frage außer Acht lassen. Dabei bezieht Politik, die intersektional gedacht wird, auch Klassenunterschiede mit ein. Das ist auch bitter nötig, denn das Armutsrisiko von Menschen mit einer Migrationsbiografie ist mehr als doppelt so hoch wie das von Menschen ohne.

Diskriminierungsformen nicht gegeneinander ausspielen

Nur wenn wir die Komplexität unterschiedlicher Lebensrealitäten verstehen und berücksichtigen, können wir soziale Gerechtigkeit erreichen. Nicht ohne Grund ist Gerechtigkeit statt Gleichheit einer der Grundwerte der SPD: Gleichheit würde bedeuten, dass alle Menschen die gleichen Voraussetzungen und Lebenschancen haben. Dass das nicht der Fall ist, hat die Sozialdemokratie früh erkannt und setzt sich seit ihrer Gründung gegen jegliche Form von Benachteiligungen oder Privilegien aufgrund der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder des Einkommens ein.

Selbstverständlich ist nämlich auch richtig, dass das Kind einer Schwarzen Topmanagerin andere Zukunftschancen haben kann als das Kind eines weißen Supermarktkassiers. Man kann und sollte hier Diskriminierungsformen nicht gegeneinander ausspielen, sondern nach strukturellen Zusammenhängen fragen. Unterschiedliche Lebensrealitäten im Sinne der Intersektionalität zu erkennen und politisch zu adressieren, geht also Hand in Hand mit den Grundwerten der Sozialdemokratie. Die SPD sollte sich deshalb stärker dahingehend positionieren und das auch klar benennen.

Intersektional heißt auch antirassistisch und postkolonial

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik sollte daher Menschenrechte immer aus einer intersektionalen Perspektive begreifen, damit sie nicht nur auf die Gleichberechtigung von Frauen abzielt, sondern die Lebensrealität aller marginalisierter Gruppen berücksichtigt. Sowohl Annalena Baerbocks Leitlinien für feministische Außenpolitik als auch Svenja Schulzes Strategie für feministische Entwicklungspolitik, die beide im März 2023 veröffentlicht wurden, setzen ausdrücklich auf einen intersektionalen Ansatz, um diskriminierende Strukturen zu überwinden und die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen zu ermöglichen. Im Einklang mit der 3R-Formel (Rechte verwirklichen, Zugang zu Ressourcen schaffen und Repräsentanz herstellen) sollen so Menschen in den Fokus rücken, die strukturell an gleichberechtigter Teilhabe gehindert werden. Die SPD sollte sich an dieser klaren Formulierung ein Beispiel nehmen.

In ihrem Positionspapier plädiert die KIP „für einen Multilateralismus ohne Doppelstandards“ und für das Aufbrechen „ungleicher und neoliberaler Machtstrukturen in den Nord-Süd-Beziehungen“. Auf rassistische und postkoloniale Strukturen wird in diesem Kontext jedoch nicht explizit eingegangen. Die SPD sollte sich stärker dafür einsetzen, dass wir unsere Rolle und Machtposition in der Welt fortlaufend reflektieren und dass rassistische Denkmuster sowie postkoloniale Strukturen abgebaut werden, damit wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Ländern des Globalen Nordens und Ländern des Globalen Südens etablieren können.

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik kann eine sozialdemokratische Antwort auf eine Welt im Umbruch sein. Wenn die SPD die Welt „friedlicher, gerechter, feministischer und zukunftssicherer“ machen will, sollte sie das Momentum nutzen und dabei noch lauter für einen intersektionalen Ansatz einstehen.

node:vw-infobox

Autor*in
Yasmina Alaoui
Yasmina Alaoui

arbeitet als wissenschaftliche Referentin beim Rat für Nachhaltige Entwicklung, engagiert sich im SPD-Netzwerk Feministische Außenpolitik und ist Mitglied bei Netzwerk F, dem intersektional-feministischen Netzwerk des CFFP.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare