Meinung

Warum die SPD noch nicht gerettet ist

Die SPD hat die Bundestagswahl gewonnen. Noch vor ein paar Monaten wäre das undenkbar gewesen. Gerettet ist die Partei aber noch nicht. Deshalb muss sie jetzt in geordnete und verlässliche Koalitionsverhandlungen einsteigen.
von Anke Rehlinger · 5. Oktober 2021
Trotz aller Euphorie am Wahlabend: Noch ist die SPD nicht gerettet.
Trotz aller Euphorie am Wahlabend: Noch ist die SPD nicht gerettet.

Am Montag nach der Wahl gibt es Blumen. Das ist Tradition im Willy-Brandt-Haus nach Wahlen. Olaf Scholz sah aber im Vergleich zu manchem seiner Vorgänger ganz glücklich aus in der vergangenen Woche. Kein Wunder. Er hat beste Chancen, Bundeskanzler zu werden. Denn niemand wird ernsthaft den taumelnden Wahlverlierer Laschet zum Kanzler machen wollen. Wer hätte das gedacht als die SPD vor einem Jahr noch bei 15 Prozent stand, 20 Prozentpunkte hinter der Union?

Wir haben gewonnen. Doch ist das auch die Rettung der SPD? Nicht automatisch. Aber es gibt eine echte Chance. Dafür liegt jedoch viel Arbeit vor der Partei.

Aus Fehlern gelernt

Mit Olaf Scholz hatte die SPD das beste Angebot. Dass der richtige Kandidat ein Plus von zehn Prozentpunkten bringen kann, galt es zu beweisen. Die SPD hat zudem aus 2013 und 2017 gelernt. Erstens hat sie  früh und bestens vorbereitet den Kandidaten nominiert. Zweitens ein knackiges Programm verabschiedet und Olaf Scholz hat mantraartig wenige eingängige Botschaften wiederholt. Drittens war die Partei geschlossen und hat stets gemeinsam agiert. Viertens war die gesamte Partei kommunikativ höchst diszipliniert, keine Querschüsse nirgendwo. Fünftens war die Wahlkampagne auch taktisch diszipliniert: Aussagen zu Koalitionsoptionen wurden nicht situativ variiert, sondern auch unter Druck durchgezogen. Von allen. Das schafft Verlässlichkeit. Chapeau übrigens auch Lars Klingbeil, der vieles davon seit 2017 vorbereitet hat!

Die Wahl der Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Spitze, hat die SPD paradoxerweise mit der großen Koalition versöhnt. Daher ist das auch ihr Erfolg. Mit dem täglichen Genöle am eigenen Regierungshandeln war Schluss. Und zuletzt: Die SPD hat beim Rücktritt von Andrea Nahles in den Abgrund geschaut. Die Lehre vieler daraus war offenbar: Der Führung vertrauen, statt die Führung zu demontieren. Nicht anders ist zu erklären, dass die Partei ruhig blieb, als auch nach der Nominierung von Olaf Scholz die SPD zunächst bei 15 Prozent einbetoniert blieb.

Fragiles Vertrauen

Die SPD ist also wieder da, nicht nur aber wohl vor allem dank Olaf Scholz. Doch dieses neu gewonnene Vertrauen ist fragil. Deshalb muss die SPD Wert auf geordnete, verlässliche Koalitionsverhandlungen legen. Gurkentruppe-Auseinandersetzungen wie einst bei Schwarz-Gelb würden die neue Verlässlichkeit der SPD sofort wieder in Frage stellen. Öffentliches Beharken über rote Linien, Beinfreiheit oder Ultimaten und dauernde Durchstechereien sind das neue Kennzeichen der taumelnden, orientierungslosen Union, nicht mehr der SPD.

Das muss dann auch fürs Regierungshandeln gelten. Ob die Krise der SPD tatsächlich beendet ist oder nicht, wird sich zum Beispiel in kommenden Landtagswahlen zeigen müssen. Die ersten im Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein folgen. Bei allen drei Wahlen könnte die SPD die CDU-Ministerpräsidenten (gendern ist hier nicht notwendig) ablösen. Die Saar-SPD lag bei der Bundestagswahl 12 Prozentpunkte über der Bundes-SPD. Doch auch das reicht bei der Landtagswahl nicht sicher für Platz 1, wenn der Bundestrend wieder auf 15 Prozent absinkt.

Dem Phoenix haftet noch Asche an

Deshalb ist eine klare inhaltliche Fokussierung vor allem in den ersten Monaten einer neuen SPD-geführten Bundesregierung notwendig. Die Transformation der Stahlindustrie, die Problematik unverschuldet überschuldeter Kommunen und die Unterstützung für Automobilregionen im Wandel dürfen nicht im Antrittseifer der frischen Ministerinnen und Minister versanden. Ein Chaos-Start einer neuen Regierungskonstellation wie 1998 darf sich nicht wiederholen. Und ich bin ziemlich sicher: Das wird sich mit Olaf Scholz nicht wiederholen.

Die SPD hat eine Chance bekommen, aus ihrem tiefen Tal herauszukriechen. Doch dem Phoenix haftet noch ein Teil der Asche an, aus der er kam. Jetzt gilt es, die gewonnene innerparteiliche Gemeinsamkeit und die starke Disziplin nach außen auch in Koalitionsverhandlungen und der neuen Regierung durchzuhalten.

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Anke Rehlinger

ist stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Vize-Ministerpräsidentin des Saarlands.

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