Warum der Armuts- und Reichtumsbericht eine Leitlinie für die SPD ist
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Auch der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht hat sehr spannende Erkenntnisse zu bieten, mit der sich die Politik befassen muss und aus denen gerade die deutsche Sozialdemokratie Ermutigung und Motivation ziehen kann und muss.
Beispiel Verteilung der Einkommen: Der Mindestlohn hat ganz offenkundig gewirkt. Endlich sind auch die unteren Einkommen deutlich gestiegen. Ein gesellschaftlicher Fortschritt, den die SPD gemeinsam mit den Gewerkschaften hart erkämpft hat. Gleichzeitig zeigen die Zahlen, dass auch die mittleren Einkommen deutlich gestiegen sind und deshalb der Abstand zwischen unteren Einkommen und dem Median gleich geblieben ist. Die Schere bleibt zu weit geöffnet. Die Armutsrisikoquote sinkt nicht, sie steigt sogar leicht. Das sind keine Gründe dafür den Kopf in den Sand zu stecken, sondern – ganz im Gegenteil - eine Bestätigung unseres Kurses in Richtung eines deutlich höheren Mindestlohnes von 12 Euro, einer höheren Tarifbindung, mehr allgemeinverbindlicher Tarifverträge und mehr Mitbestimmung.
Auswirkungen der Corona-Krise berücksichtigt
Beispiel Pandemie: Der Armuts- und Reichtumsbericht kommt durch die Pandemie später als geplant. Das Ministerium von Hubertus Heil wollte auch die Auswirkungen der Pandemie mit abbilden. Zusätzliche Forschungsaufträge wurden vergeben. Dadurch liegt der Bericht nicht im Zeitplan, er bildet aber die Krise ab, die uns alle derzeit fordert, die aber auf die Einkommenschwächsten einen noch gravierenderen Einfluss hat. Wir haben in der Pandemie immer darauf geachtet auch die sozialen Auswirkungen der Krise abzufedern, durch besseres Kurzarbeitergeld, längeres Arbeitslosengeld, verbesserten Kinderzuschlag, einfacheren Zugang zu ALG II usw. Jede*r in der SPD-Bundestagsfraktion kann ein Lied davon singen, wie schwer es war, dem Koalitionspartner auch nur kleine soziale Fortschritte abzuringen. Zur Erinnerung, die Verbesserung des Kurzarbeitergeldes wurde erst im Koalitionsauschuss nach langen Diskussionen beschlossen. Einfacher geworden ist die Kurzarbeiterregelung durch den Widerstand der Union nicht. Aber gerade in Wirtschaftsbereichen mit ohnehin geringen Löhnen, in denen die Arbeitgeber*innen nicht bereitwillig aufstocken, lohnt der Kampf um jede noch so kleine Erhöhung.
Der Befund des Berichts ist gleichwohl eindeutig. Gerade für ärmere Haushalte ist die Pandemie eine sehr große Belastung. Wo reiche Haushalte durch wegfallende Reisen, geschlossene Läden und Restaurants zum Teil mehr auf dem Konto haben als zuvor, sind viele einkommensschwächere Haushalte stärker von Verdienstausfällen und höheren Ausgaben betroffen. Oft wissen die Betroffenen zudem in unserem komplizierten Sozialsystem nicht, wo sie Unterstützung herbekommen.
Für uns sollte das eine Ermutigung sein unser Sozialstaatskonzept mit einem einfacheren, verlässlichen Sozialstaat auf Augenhöhe umzusetzen. Menschen, die Hilfe brauchen, sollen sie schnell und unkompliziert bekommen. Dafür braucht es eine Adresse, an die sich alle wenden können. Niemand sollte sich in einer Situation besonderer (Über-)Forderung als erstes in den Behördendschungel stürzen müssen, um herauszufinden ob und, wenn ja, wo es Hilfe gibt. Eine unkomplizierte und gerechte Kindergrundsicherung, die allen gezahlt wird, ist viel sinnvoller als Familienleistungen, die widersprüchlich und so kompliziert sind, dass sie von vielen gar nicht in Anspruch genommen werden. Ich bin froh, dass die SPD zudem wenigstens eine kleine Einmalzahlung für die Leistungsempfänger*innen erstritten hat. Es sind nur 150 Euro, aber sie helfen, wo sie am nötigsten sind, und sie werden sofort ausgegeben – es ist also auch volkswirtschaftlich gut angelegtes Geld. Sollte die Krise länger andauern, sollte hier dringend weiter nachgearbeitet werden.
Mehr Teilhabe, aber weniger Aufstieg
Beispiel Lebenschancen: Wir haben in dieser Legislatur zum Beispiel mit dem Teilhabechancengesetz viele Ressourcen mobilisiert, um Menschen die lange erwerbslos sind eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Mit großem Erfolg. Mit neuen Regelinstrumenten und Coaching ist es gelungen, dass tausende Menschen diese neue Chance nutzen können. Die neuen Arbeitsplätze sind auch während der Pandemie stabil geblieben. Ich bin wirklich stolz auf dieses Gesetz und diesen Fortschritt. Und gleichzeitig offenbart der Armuts- und Reichtumsbericht beim Thema Lebenschancen den für mich schmerzhaftesten Befund.
Die Aufstiegschancen aus den unteren sozialen Lagen sind in unserem Land in den letzten Jahrzehnten gesunken und verharren auf viel zu niedrigem Niveau. In Ostdeutschland ist die Dynamik noch einmal geringer als in Westdeutschland. Das kann unseren Ansprüchen nicht genügen! Es geht hier um nichts mehr als das Aufstiegsversprechen, dass, wer sich anstrengt, etwas aus seinem Leben machen kann. Um das Versprechen, dass es nicht darum geht, wer du bist und woher du kommst, sondern darum, was du kannst, und ob du fleißig bist. Das ist Kern der Sozialdemokratie.
Daher muss die Sozialdemokratie genau auf diese Dynamik wieder mehr Augenmerk legen. Mit dem Fokus auf den Respekt vor Leistung setzt Olaf Scholz meines Erachtens deshalb den richtigen Fokus. Wir sollten die Lebensleistung der Menschen mit mehr Steinen im Rucksack besser anerkennen und sie über adäquate (Weiter-)Bildungsangebote unterstützen. Noch viel wichtiger ist ein partnerschaftlicher Sozialstaat, der dafür sorgt, dass Lebenschancen genutzt werden können.
Wir haben noch viel zu tun
Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt uns, dass an sehr vielen Stellen noch viel für die Sozialdemokratie zu tun ist. Wir kämpfen schon seit vielen Jahren für die richtigen Reformen. Und trotz eines konservativen Koalitionspartners konnten wir mit Mindestlohn, Grundrente, Schritten in Richtung Kindergrundsicherung und Unterstützung für Langzeiterwerbslose beachtliche Erfolge erzielen. Mit Olaf Scholz, seinem Werben für Respekt und unserem Wahlprogramm geben wir dem Ganzen noch mal eine neue Form. Fortschrittliche Sozialpolitik und Verteilungsgerechtigkeit sollten unsere zentralen Ziele sein. Es sind die Themen, mit denen wir aus gutem Grund verknüpft werden. Und nur wer die Frage der Verteilungsgerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit mit den aktuellen Zukunftsfragen wie der Bewältigung der Klimakrise, der Digitalisierung und der Globalisierung zusammendenkt, wird die Menschen in unserem Land dazu bewegen können diese Veränderungsprozesse positiv anzugehen.
Meine Lehre aus dem Bericht: Sozialdemokratische Politikansätze sind der Schlüssel dafür, eine gerechtere Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen herzustellen - wir brauchen viel mehr davon.
ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie war bis 2018 Generalsekretärin der SPD Sachsen und bis 2019 Mitglied des SPD-Parteivorstands. Seit 2020 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung.