Vertrauensverlust: Ein Rezept, um die Demokratie zu stärken
Für eine funktionierende Demokratie braucht es Vertrauen, doch das ist in Deutschland seit der Coronapandemie deutlich gesunken. Deswegen formulieren die Soziologen Lukas Daubner und Rainald Manthe ein Rezept, wie Demokratie auch in Zukunft gelingen kann.
IMAGO/Bihlmayerfotografie
Das Vertrauen in die Demokratie sinkt seit der Corona-Pandemie.
Wie stellen Sie sich die Zukunft unserer Gesellschaft vor? Und Ihre eigene? Wenn Sie zwei unterschiedliche Antworten auf diese Fragen geben – nämlich eher düster und eher gut – geht es Ihnen wie den meisten Menschen in Deutschland. Die persönliche Zukunft scheint entkoppelt von der gesellschaftlichen.
Vertrauen in die Gesellschaft sinkt
Studien zeigen seit der Coronapandemie einen deutlichen Vertrauensverlust in Demokratie, Institutionen und Mitmenschen. Die meisten Deutschen glauben, ihren Beitrag zum Wohlstand zu leisten, während andere angeblich in der sozialen Hängematte lägen. Ähnlich beim Thema Gesundheit: Die meisten halten sich selbst für verantwortungsbewusst, die anderen jedoch für unsolidarisch. Dieses Misstrauen beeinflusst das Zusammenleben: Wenn wir anderen nicht zutrauen, sich einzubringen, warum sollte das Bürgergeld steigen oder das Gesundheitssystem solidarisch bleiben? Solidarität setzt Vertrauen voraus – ebenso wie Demokratie, die auf gemeinsamen Regeln und ihrer Einhaltung durch Unbekannte beruht.
Es gibt dabei einen signifikanten Unterschied zwischen der Naherfahrung und der Erfahrung der Gesellschaft – und damit der Demokratieerfahrung. Das zeigt sich auch bei dem Vertrauen in Institutionen: Je näher sie den Menschen sind, desto größer ist das Vertrauen – die Bürgermeisterin schneidet besser ab als Landesregierung, Bundesregierung oder EU-Kommission.
Kein Vertrauen ohne Zukünfte
Die Diskrepanz zwischen Naherfahrung und Gesellschaftsvertrauen mag normal erscheinen – ist aber ein Problem für die Demokratie. Wer dem großen Ganzen misstraut, sieht wenig Grund, es mitzugestalten: Haltungen und (Wahl-)Entscheidungen werden egoistischer, man befolgt bestehende Regeln weniger strikt. In Zeiten tiefgreifender Transformationen gefährdet das die Fähigkeit, sich auf gemeinsame Regeln oder Lastenverteilungen zu einigen.
Ein Grund für den Vertrauensverlust liegt im Mangel an positiven Zukunftsbildern. Die persönliche Zukunft ist meist vorstellbar und kontrollierbar, gesellschaftliche Zukünfte dagegen wirken abstrakt und bedrohlich. Klimawandel, Kriege und Krisen erzeugen, so der Politikwissenschaftler Jonathan White, eine „zeitliche Klaustrophobie.“ Zukunft scheint zubetoniert und nicht mehr gestaltbar.
Wieder Lust auf Zukunft machen
Während autoritäre Akteure wie Donald Trump oder Elon Musk Erzählungen von Stärke und Fortschritt anbieten – simpel, exklusiv, aber hoffnungsvoll – fehlt es liberalen Demokratien an offenen Vorstellungen, die für viele und Vielfalt Platz bieten. Stattdessen sind Gegenwartsdiagnosen geprägt von „Verlust“ (Andreas Reckwitz) oder „Anpassung“ (Philipp Staab). Es scheint unserer Gesellschaft aktuell die Lust auf Zukunft zu fehlen. Der Vorschlag der US-Amerikaner Ezra Klein und Derek Thompson, eine progressive Vision des Überflusses zu formulieren, wurde von vielen empört zurückgewiesen.
Wie wird Zukunft gemacht?
Wie wird also aus einer zukunftsarmen Demokratie mit schwindendem Vertrauen eine Gesellschaft voller Ideen?
Demokratien brauchen, erstens, vielfältige Zukunftsentwürfe im Wettstreit – denn es gibt mehr als eine legitime Vorstellung. Demokratie ist Auseinandersetzung darüber, welche Zukunft man will. Deshalb braucht es rote, grüne, schwarze, zivilgesellschaftliche oder religiöse Perspektiven.
Zweitens: Über Zukünfte muss gestritten werden, damit sie gestaltbar bleiben. Journalistische Medien und Bücher können Ideen verbreiten, erreichen aber längst nicht mehr weite Teile der Gesellschaft. Zusätzliche Arenen der Aushandlung sind nötig: Begegnungsformate wie Bürgerversammlungen, Vereine, Feste oder Kneipen. Vor Ort fällt es leichter, Vertrauen zu fassen und Konflikte einzuhegen. Zivilgesellschaftliche Initiativen regen konkrete Debatten an – etwa über die Gestaltung von Rathaus oder Park – und eröffnen Raum für Austausch.
Mehr Offenheit für neue Ideen
Parteien bleiben wichtige Orte der Aushandlung, doch ihre frühere Stärke kehrt wohl nicht zurück. Auch Parlamente bleiben wichtig, aber eher für Detailfragen als für Zukunftsentwürfe. Deshalb braucht es Foren jenseits von Klicklogik und Entscheidungsdruck – etwa Bürgerinnenräte, Wahlkreistage oder „Werkstätten der Mutigen“. Entscheidend ist, dass die Gesellschaft wieder konstruktiv und optimistisch über ihre Zukunft verhandelt – und Kompromisse als gemeinsames Ziel begreift.
Dafür müssen auch politische Akteur*innen offen für neue Ideen sein. Schnittstellen, die mehr sind als Inszenierungen: Programmprozesse, Arbeitsgemeinschaften, politische Stiftungen. Auch intransparente Formate wie Salons oder Hintergrundgespräche sind relevant – sie inspirieren und fördern Reflexion.
Wir brauchen umgesetzte Zukünfte
Es braucht aber noch etwas Drittes, denn Ideen allein reichen nicht. Sie müssen auch umsetzbar, machbar, lebbar sein, sonst verlieren sie auf Dauer ihre Anziehungskraft. Das kann klein beginnen: Ein Co-Workingspace mit Kaffeeautomat im ländlichen Raum, damit man im Homeoffice nicht vereinsamt. Oder eine Siedlung, die beschließt, eine gemeinsame Solaranlage anzuschaffen. Solche kleinen Projekte zeigen die Machbarkeit von Zukunft. Und sie machen Hoffnung.
Aber dabei darf es nicht bleiben. Auch eine Gesellschaft muss zeigen, dass die Zukunft gestaltbar ist. Dafür braucht es neben gelingenden Zukunftsentwürfen und funktionierenden staatlichen Institutionen Bürger*innen, die die Möglichkeit haben, sich vorzuwagen, ohne gleich alles aufs Spiel zu setzen und Rahmenbedingungen, die nicht verkrustet, sondern offen für Neues sind.
Kommen alle drei Dinge zusammen – verschiedene Zukunftsentwürfe, Arenen der Aushandlung und konkrete Umsetzungsbeispiele – werden demokratische Zukünfte machbar. Nur, wenn Zukunft als machbar empfunden wird, werden Menschen der Demokratie vertrauen.
ist Soziologe und leitet beim Think Tank Zentrum Liberale Moderne das Programm Ökologische Moderne.