Meinung

Verscheuert, verhökert, verzockt

Wohnen Wer steigenden Mietpreisen entkommen will, muss sich etwas einfallen lassen – besonders, wenn ihm das nötige Kleingeld fehlt.
von Martin Kaysh · 28. Juni 2018

Manchmal habe ich Glück. Ich bin Mitbesitzer einer Wohnung, irgendwie. Meine Gewerkschaft, die IG BCE, ist aus guten Gründen beteiligt am Wohnungsunternehmen Vivawest, zu etwa 26 Prozent. Rein rechnerisch teile ich mir also ein Badezimmer mit einem unbekannten Kollegen, in einer nicht zu edlen Wohnung, in Düren, Gelsenkirchen oder Hannover.

Andere Eigentümer, Kommunen, Länder, öffentlich kontrollierte Unternehmen und Sozialversicherungen, haben Zigtausende von Wohnungen verscheuert, als es vor ein paar Jahren nicht so günstig aussah auf dem Immobilienmarkt. Das fanden sie damals richtig gut, so neoliberal halt. Heute sollte man denen mal vorrechnen, wie viel Gemeinschaftseigentum sie da unter Wert verhökert haben.

Eines dieser neureichen Immobi­lienmonster macht aus der aktuellen Not ein Gewinnspiel. Kann man sich nicht ausdenken. Wurden in den ­rauen Heimatfilmen der 1950er früher im Suff Haus und Hof verzockt, gibt es jetzt die nüchtern kalkulierte Variante. In der überweist du als Mieter pro Monat freiwillig, also „freiwillig“, zehn Euro mehr auf das Konto der Vermieterin. Dafür wird dann zwei Jahre lang deine Miete nicht erhöht. Einer aus der Pokerrunde gewinnt dabei sofort und immer. Vorteil: Jenseits aller Mietspiegel kann er dem Jobcenter mehr in Rechnung stellen. Vielleicht zocken andere mit dir bald ums BAFöG, das Gehalt oder die Aufenthaltberechtigung. Mit einem Zehner wärst du da allerdings nicht dabei.

Mit Genugtuung schaue ich in das erfolgsgrinsende München, in dem sich die Geschichte des alten Königs Midas wiederholt. Der könnte Münchner gewesen sein. Auf seinen Wunsch hin verwandelte sich alles, was er berührte, in Gold, blöderweise auch Brot und Wurst.

Heißt übertragen: München ist so erfolgreich, in München verwandeln Gutverdiener noch die letzte Bruchbude in eine coole Retro-Wohn-Experience. (Gerade erfunden, werden bald Makler damit werben, fürchte ich.) In München oder Hamburg kannst du oft gar nicht so viel arbeiten, wie du wohnen musst.

Letzte Woche freute ich mich über das Versagen in der Wohnungsfrage. Da war zu lesen, VW schaffe in Bochum, also da, wo angeblich niemand leben will, gleich 1.000 neue Stellen für Ingenieure. Man hatte festgestellt, dass der abgehängte Pott eine (un)bezahlbare Kombination bietet von Fachkräften, erschwinglichem Wohnraum und Gegend, in der man es aushalten kann. Auch Görlitz, Kaiserslautern oder Wilhelmshaven können hoffen.

Zur Sicherheit werde ich meine Gewerkschaftsaktivität ausbauen. Wenn ich nicht nur einmal Mitglied in der IG BCE bin, sondern gleich 25-fach, dann besäße ich rechnerisch nicht nur ein halbes Bad, sondern eine komplette Wohnung. Bei meinem Glück wären es allerdings doch wieder nur 25 Duschen und Klos zwischen Dinslaken und ­Bautzen, fürchte ich.

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vorwärts-Kolumnist: Kabarettist und Alternativkarnevalist Martin Kays
Martin Kaysh

ist Kabarettist, Alternativ-Karnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

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