Meinung

Nach der Wahlniederlage: Warum die SPD auch ihre Sprache ändern muss

Bei der SPD beginnt die Aufarbeitung ihres historisch schlechten Ergebnisses bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Dabei sollte sie auch ihre Sprache im Wahlkampf kritisch betrachten. Wie es sprachlich besser läuft, hat die Sozialdemokratie in der Vergangenheit bewiesen.

von Oliver Czulo · 13. März 2025
Wahlplakat mit Bundeskanzler Olaf Scholz
Wahlplakat von Olaf Scholz SPD, Bundeskanzler, zur Bundestagswahl, aufgenommen in Berlin, 20.02.2025. Berlin Deutschland *** Election poster of Olaf Scholz SPD , Federal Chancellor, for the Bundestag election, taken in Berlin, 20 02 2025 Berlin Germany Copyright: xFlorianxGaertnerx

Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer scheute sich nicht, deutlich zu werden: Der Bundestagswahlkampf sei „eine einzige Stolperpartie“ gewesen, kritisierte er. Diese Feststellung gilt für die sprachliche Seite des Wahlkampfs wie für andere: Schaut man genauer hin, zeigt sich ein gewisses Herumirren, das verrät, wie sehr die SPD nach neuen Positionen sucht. Anhand einiger Schlaglichter wird deutlich, warum sich die Partei nicht nur sprachlich neu aufstellen muss.

Der verkämpfte Start

Erstaunlich war die Wortwahl, mit der die SPD ihre Wahlkampagne startete. „Wir kämpfen“ schallte es uns aus einem Video mehrfach mit Nachdruck entgegen, an prominenten Stellen mit einer Deutschlandfahne visuell hinterlegt. Dieses Video schien aber im weiteren Verlauf der Kampagne keine große Rolle zu spielen.

Man kann nur spekulieren, was mit dieser Art der Ansprache versucht werden sollte: Möglicherweise war – neben der Darstellung von Entschlossenheit – die Absicht, auch einen gewissen patriotischen Anklang zu finden. Nicht zuletzt sollte der Bezug auf den „Kampf“ wahrscheinlich die Grundsätzlichkeit der aktuellen Multikrisenlage reflektieren.

Zu „kämpfen“ wird in vielen Kontexten als positiv verstanden, nämlich als besondere Form des Einsatzes für eine Sache. Das betont im Video vorgebrachte „Wir kämpfen“ ergab aber im Zusammenklang mit weiteren Äußerungen eine fast schon martialische Gesamttonlage: „kriegstüchtig“ statt nur verteidigungsfähig solle Deutschland werden, so hieß es schon mal, und es ging zuletzt nicht um die ‚nur‘ arbeitende, sondern um die „hart arbeitende“ Bevölkerung, für die „wir kämpfen“ – gerne untermalt mit dem bereits erwähnten Schwarz-Rot-Gold.

Dem Getöse von rechts entgegenwirken

Gerade in einer Zeit, in der die Welt nicht nur in der Wortwahl besonders konfliktreich ist, wäre allerdings eine Grundtonart angebracht, die die Stimmung nicht noch künstlich aufheizt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Nach wie vor sind ehrliche Benennung von Problemen, klare Abgrenzung zu politischen Mitbewerber*innen (sowie antidemokratischen Gegner*innen) und Pointierung in der Sache wünschenswert wie nötig. 

In der Grundtonart umzuschalten, würde aber nicht nur das Selbstverständnis der SPD besser ins Bild rücken, sondern auch helfen, der gesellschaftlichen Ermüdung aufgrund von zu vielen als existenziell nur aufgebauschten Konflikten – wie zum Beispiel im Kulturkampfgetöse von rechts – entgegenzuwirken.

Für progressive Wahlkämpfe war bisher ein wichtiges Element, Koalitionen verschiedener Minderheiten und benachteiligter Gruppen zu schmieden. Derzeit ist diese Logik nicht haltbar, denn diese Gruppen wählen nicht mehr zwingend im selben Maß wie früher progressive Kräfte. Auch wenn aufmerksamen Beobachter*innen klar ist, dass es Rechtsaußen mit emanzipatorischen Prozessen nicht wirklich ernst meint, sind dennoch neue Strategien nötig, um breite Zielgruppen anzusprechen.

Warum der Begriff „normale Leute“ schwierig ist

Dieser Gedanke scheint hinter der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Bundesparteitag im Januar gestanden zu haben, in der der Ausdruck „(ganz) normale Leute“ (in verschiedenen Variationen) knapp 20-mal gezählt wurde. Die Reaktionen darauf waren schnell und deutlich: Ausschließender ging es nicht. Die Problematik des Begriffs „normal“ in solchen Zusammenhängen muss wohl nicht näher erläutert werden.

Im Verlauf der Wahlkampagne änderte sich diese Ansprache: Ging es um zum Beispiel um Steuergerechtigkeit, wurden stets die „95 Prozent“ angesprochen, die eben nicht zu den Superreichen zählen. Man könnte versucht sein, dies kritisch ebenfalls als ausschließend zu bezeichnen, allerdings wird damit keine abwertende Grenzziehung vollzogen. Diese Kritik würde nur zutreffen, wenn man den anderen „fünf Prozent“ der Bevölkerung Stereotype zuweisen, also sie zum Beispiel als generell raffgierig hinstellen würde. Ein alleiniger Hinweis auf einen systemisch ungerechten Steuerbeitrag einer statistisch abgrenzbaren Gruppe erfüllt dieses Kriterium nicht, auch wenn die Statistik hier eher plakativ zu verstehen ist.

An dieser Stelle war in der Entwicklung sprachlich etwas Wichtiges gelungen, nämlich eine breite Gruppe anzusprechen, ohne eine andere abzuwerten. Diese Strategie weiterzuspinnen, wird wichtig bleiben, zum Beispiel mit Blick auf Gruppen, die sich – ob im Einzelfall tatsächlich oder empfunden – durch als übers Ziel hinausschießende emanzipatorische Rhetorik verunglimpft sahen: Man denke etwa an die „alten weißen Männer“.

Der Begriff „Sicherheit“ blieb blass

Als ab Mitte Januar die Wahlplakate hingen, warteten sie mit ungelenken Wortspielen auf. „Mit Sicherheit mehr Netto“ hieß es darauf etwa, was wie ein Garantieversprechen klang, obwohl damit wohl das derzeit verstärkte Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen angesprochen werden sollte. Es ist zwar alles andere als verkehrt, solch ein Bedürfnis aufzugreifen, aber der Sprung von „Sicherheit“ zu „Netto“ ist doch ein ziemlich großer und daher erklärungsbedürftig.

Diese Erklärung fehlte allerdings: Wie die Gesellschaft rundum sicherer werden soll, konnte die SPD im Wahlkampf nicht vermitteln. Zwar betonte Olaf Scholz zu Recht immer wieder, dass soziale, innere und äußere Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften, aber wie diese drei zukünftig aussehen und ineinandergreifen sollten, blieb im Großen und Ganzen unklar.

Diese Unklarheit wurde an einer Stelle besonders sichtbar: Die letzte Chance, für die äußere Sicherheit eine echte Vision zu zeichnen – die außerdem die immer noch positiv belegte europäische Dimension hervorgehoben hätte – bot US-Vizepräsident J. D. Vance eine Woche vor der Wahl mit seiner unsäglichen Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz dem Kanzlerkandidaten ungewollt. 

Die Antwort von Olaf Scholz kam zwar prompt und war inhaltlich im Prinzip richtig, aber sie griff schlussendlich zu kurz. Wo blieben die knackig formulierten, ineinandergreifenden fünf Thesen (oder drei, oder neun) für ein friedliches und sicheres Europa, über die man am 23. Februar hätte abstimmen können? Einzelne Aspekte oder Maßnahmen, ob sozial, ordnungs- oder verteidigungspolitisch, machen noch kein konsistentes Gesamtbild.

Der „Respekt“-Wahlkampf von 2021 als Vorbild

Genau dies aber, ein Gesamtbild zu entwickeln und zu vermitteln, war der SPD in der vorherigen Wahlkampagne noch gelungen. Mit dem Begriff „Respekt“ im Zentrum wurde einerseits eine gesellschaftliche Stimmung nach den Entbehrungen der Hochzeit der Corona-Pandemie aufgegriffen und andererseits eine sozial- und gesellschaftspolitische Vision gezeichnet.

Ob man es zukünftig nun „resiliente Gesellschaft“ oder „Sicherheit“ nennen, ob man eher Klimaschutz oder doch den Frieden in den Mittelpunkt stellen, oder eher andere Themen bespielen will: Die SPD braucht wieder ein klares Gesamtbild, mit dem sie in verschiedene Richtungen anschließt, und das sie unmissverständlich und mutig an breite Zielgruppen vermittelt. Der Programmerneuerungsprozess nach der 2017 verlorenen Bundestagswahl war beeindruckend und kann Vorbild dafür sein, wie eine inhaltliche Erneuerung der Partei anzugehen wäre.

Autor*in
Oliver Czulo
Oliver Czulo

ist Übersetzungswissenschaftler und beschäftigt sich mit Denk- und Sprechmustern in verschiedenen Kulturen. Gelegentlich schreibt er zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen. Er trötet unter @OliverCzulo@spd.social.

Weitere interessante Rubriken entdecken

9 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Do., 13.03.2025 - 16:18

Permalink

verzwergen? Warum wird hier schon im Titel von einer NIEDERLAGE gesprochen? Die letzten werden die ersten sein, und wir sehen doch anhand der vielen erfolgreichen Punkte in den laufenden Verhandlungen, dass nicht die CDSU respektive BlackrocK Merz den Hut auf hat, sondern wir mehr oder weniger diktieren können. Für eine Partei, die eine Niederlage erlitten hat, ist das doch ganz hervorragend. Solche Sieger, wie merz sie repräsentiert, rauchen wir doch in der Pfeife......

Ich würde keine Interpretation sehen, die aus dieser Niederlage einen Sieg oder zumindest eine gute Platzierung machen würde. Wir haben ein so schlechtes Wahlergebnis gehabt, dass wir für einen Vergleich ins 19. Jahrhundert schauen müssen. Und ob wir Friedrich Merz wirklich in der Pfeife rauchen, oder uns die Union mit ihrem Gepolter doch in der öffentlichen Wahrnehmung überstrahlt, zeigt sich noch. Nur, weil wir ein paar gute Punkte durchkriegen, heißt das noch nicht, dass uns die Öffentlichkeit deshalb zu Füßen liegt.

Geschichte, er mag das noch nicht wissen, und dennoch ist es so. Wir stehen sehr gut da- die CDU löst uns ab auf dem Weg Richtung 10 %, Wir sind unbetroffen, was das Grünenbashing angeht, die FDP ist weg, also wir sind die Zukunft....

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 14.03.2025 - 15:33

Permalink

Ein besonderer Artikel, an dem bestenfalls auszusetzen wäre, dass er sich auf den Wahlkampf beschränkt. Dessen „Sprache sollte (die SPD) kritisch betrachten“. Czulo macht das für die SPD und attestiert ihr „eine fast schon martialische Gesamttonlage“. Dabei lässt er so markante Sätze wie „für uns sind militärische Stärke und Diplomatie zwei Seiten der gleichen Medaille“ völlig unerwähnt. Und da die SPD „aus einer Position der Stärke heraus … die Sicherheit auf unserem Kontinent vor Russland organisieren muss“, verabredete sie mit der CDSU in der neuen Regierung Militärausgaben, von denen 1% vom BIP regulär aus den jährlichen Einnahmen genommen, der Rest von 3% oder 5% vom BIP aber fremdfinanziert werden soll. Bei einem BIP von 4.122 Mrd.€ (2023) würde der Haushalt 41 Mrd. € ausweisen, belastet würde aber der Lebensstandard der Bevölkerung mit 144 Mrd. € (3,5% vom BIP) jährlich.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 14.03.2025 - 15:35

Permalink

Daran ändert nichts, dass 103 Mrd. € fremdfinanziert werden, sodass Zinsen und Rückzahlungen in die Zukunft verlegt werden. Die von 144 Mrd. € bewirkte Inflation trifft die ganze Bevölkerung noch im Anschaffungsjahr der Waffen (oder im Jahr danach). Ihren Wahlkampf stellte die SPD unter das Motto, „Mehr für Dich. Besser für Deutschland“: Dieses „Mehr für Dich“ hätte Czulo auch mal sprach„kritisch betrachten“ können – angesichts der angekündigten Aufrüstung bleibt kein „Mehr für Dich“, ganz im Gegenteil.

Ich möchte auch noch die „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ anmelden, deren „Sprache (die SPD) kritisch betrachten sollte“ (Berlin, 20.1.23). Diese „Neuausrichtung sozialdemokratischer internationaler Politik“ hat nicht nur „eine fast schon martialische Gesamttonlage“, sie enthält auch Sätze wie: „Es ist Zeit, unsere eigene Rolle in der Welt neu zu definieren“, und beansprucht damit eine „Verantwortung für … eine regelbasierte internationale Ordnung“.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 14.03.2025 - 15:37

Permalink

Gleichzeitig weiß Klingbeil (gestern im Parlament) nicht, wie er die Mitbürger:innen, seine Zuhörer:innen ansprechen soll, so dass er sie „die Menschen“ nennt, wie es Frau Merkel immer machte. (Ich würde gern lesen, was Czulo dazu sagte.)

Natürlich müsste die SPD ihre Sprache auch in komplexeren sprachlichen Zusammenhängen „kritisch betrachten“. Etwa, wenn, wie gestern im Parlament, noch schnell ca. 1000 Mrd. € bereitgestellt werden sollten, angeblich weil sofort benötigt, obwohl der Grund nur die geänderten Mehrheitsverhältnisse des neuen Parlaments sind, die eine solche Ermächtigung in Frage stellen.

Bitte bleiben Sie in Ihren Kommentaren beim Thema des Artikels. Zu Verteidigung und Finanzpaket haben wir auch Texte veröffentlicht.

Zu den Aussagen zur militärischen Stärke kann ich auf Zuruf nichts sagen, sondern müsste erst die Situation und die hergestellten Zusammenhänge betrachten. Ich habe ja auch gesagt: Probleme müssen klar benannt werden. Aktuell gibt es eine bedrohliche Kraft auf dem europäischen Kontinent, die ihre 'Diplomatie' mittels Militär brutal durchführt; sind solche Kontexte angesprochen, sehen diese Aussagen in der Gesamtschau möglicherweise anders aus als auf den ersten, isolierten Blick.

Was den Wahlkampfspruch "Mehr für dich. Besser für Deutschland" angeht, so fällt das für mich auch unter 'ungelenk': Es scheint mir, dass man mit dem ersten Teil auf die Respekt-Kampagne zurückgreifen wollte, aber mit dem zweiten Teil ungewollt einen schrägen Zusammenhang hergestellt hat. Wenn ein Land dann besser ist, wenn 'ich' mehr abkriege, kann das einen gewissen Egoismus befüttern, nach dem Motto "wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht". Das war aber mit Sicherheit nicht die Absicht.

Gespeichert von Matias Leão Ra… (nicht überprüft) am So., 16.03.2025 - 15:51

Permalink

Oliver Czulos Analyse zeigt die sprachlichen Schwächen der SPD im Wahlkampf. Begriffe wie „Wir kämpfen“ und „normale Leute“ wirkten allein martialisch und verzweifelt, was den SPD-Werten widerspricht. Deswegen blieb der Begriff „Sicherheit“ unklar, ohne eine Vision für soziale, innere und äußere Sicherheit zu vermitteln. Sprachphilosophisch betrachtet zeigt sich, dass die SPD die Regeln von Wittgensteins „Sprachspielen“ nicht konsequent anwendete, was zu Missverständnissen führen musste. Die Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns verdeutlicht, dass die SPD sich durch strategisches Handeln selbst schwächte. Ihre Stärke der Tradition sozialer Gerechtigkeit wurde durch inkohärente Wahlkampfbotschaften konterkariert. Die Chance einer Neuausrichtung der Sprache liegt in der Betonung innenpolitischer und europäischer Themen, entgegen der Bedrohungen des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Sprache kohärenter zugestalten und SPD-Werte klarer zu kommunizieren, wird jedoch nicht ausreichen.