Industriestrompreis? Das Instrument für günstigen Strom gibt es schon
IMAGO/Bihlmayerfotografie
Der Druck ist hoch. Die Industrie in Deutschland droht mit Abwanderung, wenn die Energiepreise in Deutschland, die im internationalen Vergleich insbesondere zu den USA sehr belastend sind, nicht sinken. Tatsächlich ist Deutschland im Vergleich zu Volkswirtschaften, die selbst Energieproduzenten sind wie eben die USA, in besonderem Maße von der Abkehr von Russland als günstigem Energielieferanten betroffen. Jeder erinnert sich an den explosionsartigen Anstieg der Strom- und Gaspreise am Beginn und während der ersten Phase des Krieges in der Ukraine. Die Sorgen der Industrie sind also verständlich.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn nun die Einführung eines „Industriestroms“ geplant wird, der zu Lasten der Steuerzahler den Strompreis für die Industrie auf ein Wettbewerbs freundlicheres Niveau herunter subventioniert (Konzept hier). Schon vorher hatte die SPD eine ähnliche Forderung erhoben (hier und hier). Bevor man aber zur Tat schreitet, sollte man das Problem in einem weiteren Kontext sehen, um letztlich das Richtige zu machen.
Massive Investitionen in Erneuerbare Energien
Wir stehen mitten in einem doppelten Umbruch. Die Wirtschaft ist auf dem Weg in ein post fossiles, digitales Zeitalter, und das Welthandelssystem wandelt sich von dem Versuch multilateraler ökonomischer Kooperation in einen Zustand geopolitischer Konfrontation. Beides senkt allseitig zumindest kurzfristig Lebensstandard und erzwingt die Notwendigkeit massiver Investitionen insbesondere in Erneuerbare Energien und neue Technologien, um unter den veränderten Rahmenbedingungen wirtschaftliche Dynamik mit wieder wachsendem Lebensstandard zu erzeugen. Zudem ist dieser Weg unsicher, er kann jederzeit von Preisschüben begleitet sein, die die Kaufkraft der Haushalte und die Rentabilität der Unternehmen überfordern.
Vor diesem Hintergrund muss alles getan werden, um privaten Haushalten wie Unternehmen diesen Umstieg mit möglichst geringen Kosten und möglichst hohem Nutzen zu ermöglichen. Ziel ist zum einen, die Kaufkraft der Haushalte stabil zu halten, damit sie den Umstieg finanziell bewältigen können. Zum zweiten sollten die Unternehmen wettbewerbsfähig produzieren können, um sie und damit Beschäftigung während des Umbruchs am Standort halten zu können. Ihr Wegzug wäre aus klimapolitischer Sicht ohnehin wirkungslos. Es ist schließlich egal, an welchem Ort Emissionen entstehen. Gleichzeitig würde ein Weggang dem Standort nicht nur Kaufkraft entziehen, sondern die Möglichkeit nehmen, die Fertigkeiten zu entwickeln, die für eine post fossile Wirtschaft erforderlich sind. Dies sichert künftigen Wohlstand.
Aus all diesen Gründen bedarf der Umstieg staatlicher Unterstützung. Insbesondere gilt es die Kosten der Energieversorgung auf einem Pfad zu halten, der allseits bewältigbar ist. Dies gilt für alle Bereiche.
Die richtigen Instrumente gibt es schon
Eigentlich sind die Instrumente hierzu bereits am Platz. Sie heißen Gas- und Strompreisbremse. Beide sichern sowohl die Haushalte als auch die Unternehmen gegen starke Preissprünge nach oben ab, indem sie 80 Prozent des Verbrauchs zu einer für tragfähig gehaltenen Obergrenze absichern. Dies schafft einerseits Sicherheit und erhält andererseits wegen der nicht abgesicherten 20 Prozent den Anreiz zu sparen. Finanziert werden die Preisbremsen aus Steuermitteln und beim Strom teilweise durch eine Zufallsgewinnabgabe für jene Stromproduzenten, die wie bei den Anbietern deutlich preiswerter zu produzierenden Erneuerbaren Energien erhebliche Gewinne erzielen.
Diese Instrumente können als Ausgangsbasis dienen, um die Energiekosten während des Umbruchs für alle weiterhin zu begrenzen. Man müsste die Gültigkeit der Preisbremsen einfach nur verlängern. Im Zuge eines solchen Schritts können die Obergrenzen so angepasst werden, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern und die Kaufkraft der Haushalte stabilisieren.
Damit würde eine Art gesamtwirtschaftlicher Versicherung gegen Energiepreisschocks geschaffen. Übersteigen die Preise die Obergrenze, wird ist sie wirksam. Liegen sie darunter, wie teilweise aktuell, passiert nichts und sie kosten auch kein Geld. Im Laufe der Zeit sollte sie mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien sogar schlicht überflüssig werden.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.