Meinung

Hass im Internet: Warum er eine Gefahr ist und was gegen ihn hilft

Wenn aus dem Shitstorm in sozialen Medien Morddrohungen im Alltag werden: Katharina Nocun ist seit Jahren von Hass im Internet betroffen. Welchen Einfluss das auf ihr Leben hat und wie sie mit dem Hass umgeht, beschreibt sie hier.

von Katharina Nocun · 21. März 2024
Hass im Netz macht hinterlässt Spuren

Wer ständig bedroht wird, kommt an seine Grenzen.

Die Abkürzung afk steht im internetjargon für „away from keyboard“, zu Deutsch: „Bin gerade nicht am Gerät.“ Doch streng genommen ist kaum jemand heutzutage noch länger „afk“. Das Smartphone ist nur einen Handgriff entfernt. Deshalb wirkt die bei Drohungen auf Social Media oft getroffene Unterscheidung zwischen „RL“, also dem „Realen leben“ und der Onlinewelt leidlich antiquiert. 

Wenn „virtuelle“ Gewalt real wird

Ich werde nicht online bedroht. Ich werde bedroht, während ich am Küchentisch sitze, das Smartphone in der Hand. Wenn ich im Bus die Mentions durchscrolle. Wenn ich abends vor dem Einschlafen noch „ganz kurz“ etwas online nachschauen will. Der Hass sickert in jede Pore des Alltags.

Begonnen hatte alles mit einer 2016 veröffentlichten Analyse des Wahlprogramms der AfD in meinem Blog. Die AfD Baden-Württemberg veröffentlichte als Reaktion auf ihrer Webseite einen Beitrag über mich, in dem es hieß: „Ihren polnischen Hintergrund, mit dem sie gerne kokettiert und den sie auch gegen die AfD anbringt, erwähne ich wegen Bedeutungslosigkeit nicht.“ 

Wie wenig die Unterscheidung zwischen „virtueller“ und „realer“ Gewalt taugt, wird einem spätestens dann klar, wenn die eigene Adresse in rechtsextremen Kreisen kursiert. Zum Glück war sie veraltet. 

Die Angst läuft stets mit

Trotzdem bleibt es danach schwer, sich irgendwo wirklich zu Hause zu fühlen, wenn im Hintergrund stets die Angst mitläuft, überstürzt umziehen zu müssen, weil man, realistisch betrachtet, sonst nie wieder ruhig schlafen könnte. Zu explizit sind die Schilderungen dessen, was Menschen da draußen einem antun wollen, wenn man sie denn ließe. 

Infolge der Übernahme der Plattform X durch Elon Musk hat sich der Charakter der Plattform grundlegend verändert. Nicht nur der frühere US-Präsident Donald Trump darf nach seiner Accountsperrung infolge der Stürmung des Capitols in Washington nun wieder dort posten. Hass wird kaum moderiert. Mehr noch, er bekommt oft genug einen algorithmischen Booster.

Das alles gießt Öl ins Feuer der rechten Diskursverschiebung. Denn wer sich weiterhin in diesem Mikrokosmos bewegt, ohne die Entwicklung zu reflektieren, droht sich an einem Zerrbild abzuarbeiten.

Roter Teppich für den braunen Mob

Ich verstehe, wenn Politikerinnen, Politiker und Parteien überall dort präsent sein wollen, wo ihre Wählerschaft und vor allem Medienschaffende anzutreffen sind. Doch wer über kaum oder gar keine alternativen Kanäle verfügt, um Sichtbarkeit für seine Anliegen zu erreichen, macht sich zur Geisel der Radikalisierung eines launischen US-Milliardärs, der dem braunen Mob geradezu den Roten Teppich ausrollt, damit er Hetzjagden veranstalten kann. 

Mir wurde einmal gesagt, Morddrohungen gehörten eben zum „Berufsrisiko“ meines Jobs. ich weigere mich, das so hinzunehmen. es braucht zweifellos mehr zivilgesellschaftliche Initiativen wie „ichbinhier“, die als Gruppe bei Shitstorms intervenieren, und das tun, was jeder und jede von uns als kleinen Beitrag leisten kann: Hass melden, inhaltlich dagegenhalten, Solidarität kundtun. 

Gleichwohl braucht es auch analoge Maßnahmen, um Betroffenen den Rücken zu stärken. Sperrungen der Adresse beim Einwohnermeldeamt dürfen nicht zum Spießrutenlauf werden, weil die Bedrohung angeblich „noch nicht konkret genug“ sei. Wenn sie konkreter wird, ist es schließlich womöglich schon zu spät. 

Was wirklich gegen den Hass hilft

Hinzu kommt eine schnellere und konsequente Strafverfolgung, wenn Betroffene sich zur Anzeige entschließen. Und auch ein Strafmaß, das den Schaden für die Betroffenen angemessen abbildet. Wie gesagt: Der Hass sickert in jede Pore des Alltags, ob man will oder nicht. 

Betroffene von Drohungen auf Social Media brauchen keine Mental Health Tips. Wir kennen sie alle. Wir wollen unsere Angst nicht verdrängen, denn sie ist nicht unbegründet. 

Heute weiß ich: Ein guter Anwalt an meiner Seite hilft mir mehr als 100 Stunden Yoga. Eine Tür mit Sicherheitsschloss, finanziert über einen Fonds zum Opferschutz rechtsextremer Gewalt, und das Wissen, dass meine Nachbarn ein waches Auge für rechte Umtriebe in meinem Kiez haben, lässt mich besser schlafen als jede Atemübung. Und Social-Media-Kacheln, die Selbstwert vermitteln, sind nichts gegen Menschen, die einem sagen: „Du bist nicht allein.“ 

Autor*in
Katharina Nocun
Katharina Nocun

Katharina Nocun ist Publizistin und Netz­aktivistin. Mit Pia Lamberty veröffentlichte sie unter anderem das Buch „True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“. 

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