Dienstpflicht: Warum das soziale Jahr freiwillig bleiben sollte
Ute Grabowsky/photothek.net
Ist das nun ein typisches Sommerlochthema? Diese Diskussion um eine Neuauflage von Wehrdienst und Zivildienst. Die Bundeswehr winkt schon ab. Eine moderne Armee braucht gut ausgebildete Spezialisten, nicht junge Leute, die mehr oder weniger willig in den Kasernen ein Jahr abreißen. Ähnliches gilt für den zivilen, den sozialen Bereich: Mädchen und Jungen sollen also für ein Taschengeld die Löcher stopfen, die im ambulanten und stationären Pflegebereich immer größer werden. Und damit würden sie vielleicht auch noch ungewollt zu Lohndrückern, weil sich durch ihren Einsatz die schon lange notwendigen Reformen weiter hinauszögern lassen.
Schärfung des sozialen Gewissens
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich halte ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr, ob im In- oder Ausland, für eine gute Sache. Gerade den heute oft überbehütet aufwachsenden jungen Menschen tut es gut, zu erleben, wie die andere Hälfte der Menschheit lebt. Sie erfahren, wie dank ihres Einsatzes der Alltag von nicht mehr mobilen alten Menschen oder überforderten Familien erträglicher werden kann. Das macht sie stolz und schärft ihr soziales Gewissen. Meine Tochter hat durch das freiwillige soziale Jahr ihren Beruf gefunden. Mein Sohn ist durch den Zivildienst im ambulanten Pflegebereich zu einem politischen Menschen geworden, hochsensibel für Ungerechtigkeiten.
Und nun kommt das große Aber: Es hat schon seine Gründe, dass die Skepsis gerade bei den erschöpften, unterbezahlten und überlasteten professionellen Helfern groß ist. Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten in diesen Bereichen für bessere Löhne und gegen Arbeitsbedingungen, die sie physisch und psychisch an ihre Grenzen bringen. Sie fordern weniger Überstunden, mehr Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten, Gehälter, die ihrer verantwortungsvollen Arbeit entsprechen. Jugendliche Helfer auf Zeit anlernen zu müssen, dürfte da auf wenig Begeisterung stoßen.
Übernehmen, wozu die Zeit fehlt
Das spricht nicht grundsätzlich gegen den Einsatz Freiwilliger in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, wenn deren Aufgaben genau definiert werden. Um es an einem Beispiel klar zu machen: Sie könnten, wozu Krankenschwestern und Pflegern die Zeit fehlt, geduldig beim Essen helfen – auch wenn das eine Stunde dauert – und damit vielleicht eine Magensonde verhindern. Sie könnten Patienten, gebrechlichen Menschen, Behinderten, Familien in Nöten das schenken, was besonders kostbar ist: Zeit und die Bereitschaft, zuzuhören.
Dafür aber braucht man keine Dienstpflicht. Der Wunsch, zwischen Schule und Studium oder Ausbildung etwas für die Gesellschaft zu tun, ist auch heute schon groß. So groß, dass es bei weit mehr als 100.000 Freiwilligen pro Jahr an sinnvollen Einsatzmöglichkeiten fehlt, wie immer wieder von den zuständigen Verbänden beklagt wird. Das ließe sich sicherlich ändern. Denn Aufgaben, die das Leben vieler Menschen leichter machen können, gibt es genug.
Sinnvolle Debatte
Freiwilligendienste, die für alle Beteiligten zum Gewinn werden, müssten allerdings professioneller werden. Dazu gehört auch eine Bezahlung, die mehr als ein Taschengeld ist, das von den Eltern aufgestockt werden muss. Dafür sollten zudem Pluspunkte für ein artverwandtes Studium vergeben werden.
Wenn nun über die Bedingungen dieses der Gesellschaft geschenkten Jahres neu verhandelt wird, dann hat die Debatte dieses Sommers vielleicht doch einen Sinn gehabt. Auch unter folgendem ganz wichtigen, viel zu selten bedachten Aspekt: Heute wird darüber geklagt, dass sich die Milieus immer weniger mischen, dass die Mittelstandskinder ebenso unter sich bleiben wie die Verlierer der Gesellschaft. Es wird höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Einer von vielen Ansätzen könnte der Ausbau der freiwilligen sozialen Dienste sein. Kostenlos wird der aber nicht zu haben sein. Und eine Billigkonkurrenz für die am Limit arbeitenden Profis darf er keinesfalls werden.
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.