Meinung

Die SPD braucht mehr Frauen in Spitzenpositionen

Vor 100 Jahren wurde das Wahlrecht für Frauen Gesetz. Doch noch immer gibt es zu wenige Frauen in der Politik. Die SPD wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie es Frauen leichter macht, Spitzenpositionen in der Partei einzunehmen.
von Andrea Nahles · 16. November 2018
Solidarität unter Frauen ist wichtig: Foto-Aktion beim Debattencamp der SPD am 10. November 2018
Solidarität unter Frauen ist wichtig: Foto-Aktion beim Debattencamp der SPD am 10. November 2018

Keine Partei in unserem Land hat sich so nachdrücklich für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt wie die SPD. Und dennoch hat es mehr als anderthalb Jahrhunderte gedauert, bis eine Frau erstmalig die Glasdecke zum höchsten Amt unserer Partei durchbrochen hat. In einem historischen Votum wurde ich am 22. April 2018 zur ersten weiblichen Vorsitzenden der SPD gewählt. Nach 155 Jahren haben wir diese Hürde endlich übersprungen!

Solidarität unter Frauen ist wichtig

Heute ist es an mir, mich bei all jenen Frauen zu bedanken, die mir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder den Rücken gestärkt haben. Wie wichtig diese Solidarität unter Frauen ist, möchte ich mit einem Beispiel aus meiner politischen Jugendzeit demonstrieren: Als ich Juso-Unterbezirksvorsitzende in Mayen-Koblenz war, haben wir uns regelmäßig in einer Juso-Frauen-Runde getroffen. Die Genossinnen haben mich damals immer wieder unterstützt, insbesondere wenn es zu Konflikten mit männlichen Genossen kam. Heute weiß ich, wie wichtig dieser Zuspruch anderer Frauen für mich war. Denn ohne die Hilfe der anderen Juso-Frauen hätte ich damals wahrscheinlich die politische Flinte ins Korn geworfen.
Das ist der Grund, warum ich allen ­Frauen in der SPD sage: Vernetzt euch, helft euch, lasst euch nicht unterkriegen! Denn uns Frauen wird nichts geschenkt – schon gar nicht, wenn es um politische Macht geht.

Das gilt auch und gerade für das Frauenwahlrecht, dessen 100. Jubiläum wir dieses Jahr feiern. Es war mitnichten ein Geschenk. Es wurde hart erkämpft und ist nichts, wofür die Frauen irgendwem Dank schuldeten. Marie Juchacz, die als erste Frau in einem deutschen Parlament sprach, hat es auf den Punkt gebracht: Das Frauenwahlrecht ist eine Selbstverständlichkeit. Und genau in diesem Sinn müssen wir Gleichstellung auch heute verstehen: als Selbstverständlichkeit. Denn solange Frauen nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie Männer genießen, solange leben wir noch nicht in einer gerechten Gesellschaft.

Absurde Diskriminierung von Frauen

Wir leben aber inzwischen in einer besseren Welt – das zeigt schon ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Bis 1958 galt im Bürgerlichen Gesetzbuch der Grundsatz: Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Eheleuten entscheidet die Meinung des Gatten. Bis 1970 waren nicht eheliche Kinder und ihr Mütter rechtlich schlechter gestellt. Bis 1977 durften Ehefrauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns arbeiten. Und erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gesetzt. Das ist nicht lange her. Und einige, die damals gegen diesen Straftatbestand gestimmt haben, sitzen heute noch im Bundestag. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, auf welch absurde Weise Frauen diskriminiert wurden. Nicht im Kaiserreich, nicht in der Nazi-Zeit, sondern in der Bundesrepublik Deutschland.

Es gibt noch immer viel zu tun. Nach wie vor verdienen Frauen weniger Geld als Männer. Nach wie vor sind Frauen in Führungspositionen eine Ausnahme. Und nach wie vor müssen wir für die politische Vertretung von Frauen kämpfen, wie ein Blick ins Parlament zeigt: Im Deutschen Bundestag sitzen heute so wenige Frauen wie zuletzt vor 20 Jahren.

Teamplay statt Platzhirschgehabe

Als erste Frau an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion ist es mir ein besonderes Anliegen, die Lebenssituation der Frauen zu verbessern. Dazu gehört auch ein anderer Führungsstil. Ich bin kein Freund von Platzhirschgehabe, für mich ist Politik Teamplay. Ich bin überzeugt, dass uns ein offener und fairer Umgang miteinander weiter bringt als machohafte Macht-Demonstrationen. Dabei müssen wir immer darauf achten, dass wir nicht Wasser predigen und Wein trinken. Deswegen achte ich gerade als berufstätige Mutter darauf, dass familienfreundliche Zeiten eingehalten werden. Und zwar nicht nur, wenn es der Kalender gerade zulässt, sondern auch, wenn gerade besonders Druck im Kessel ist.

Die SPD wird nur erfolgreich sein, wenn wir es Frauen leichter machen, Spitzenpositionen in der Partei einzunehmen. Nicht weil ich glaube, dass Frauen alles besser machen oder die bessere Menschen seien. Sondern weil ich überzeugt bin, dass Frauen eine wertvolle Perspektive und einen eigenen Zugang zu Themen haben, von denen die gesamte Partei profitiert. Unsere Vielfalt ist unsere Stärke! Denn nicht umsonst heißt es in unserem Grundsatzprogramm: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“

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