Deutschland muss endlich die Rolle der EZB akzeptieren
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Das Bundesverfassungsgericht war in Brüssel gefürchtet. Kein Mitgliedstaat außer Deutschland war bei europapolitischen Entscheidungen immer wieder der Sorge ausgesetzt, ob eine europapolitische Entscheidung die Billigung der Obersten Gerichte fand. Und nur das Bundesverfassungsgericht hatte Probleme, den Europäischen Gerichtshof als oberste Instanz in der Europäischen Union und damit auch für Deutschland zu akzeptieren.
Ein riskantes Machtspiel Karlsruhes?
Sogar das Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages und damit der Beginn der Währungsunion standen auf dem Spiel. Nun schon wieder Karlsruhe und die EU. Nur ein riskantes Machtspiel? Endlich muss deutlich werden, dass Deutschland wie andere EU-Mitgliedstaaten die Währungsunion und die Rolle der EZB akzeptieren.
Heute wissen alle um die Bedeutung der Währungsunion, die Zustimmung der europäischen Bevölkerung ist groß. Sie half überdies vielen europäischen Staaten, insbesondere Deutschland, aus der Finanzmarktkrise. 20 Jahre Währungsunion seit 1999 sind nicht nur eine Erfolgsgeschichte, sie konnte einen Beitrag zur europäischen Integration und für den Wohlstand der Bürger*innen leisten. Krisen ist die Europäische Union gewohnt. In der Finanzmarktkrise wurde allerdings deutlich, dass viele Mitglieder die Währungsunion nur für eine Schön-Wetter-Veranstaltung hielten. Auch Kritik an Mitgliedstaaten, die sich um gemeinschaftlich eingegangene Verpflichtungen nicht scherten, waren zu Recht mehr als einmal Thema.
Nicht die Politik, die EZB rettete den Euro
Dennoch blieb die Verpflichtung zu einer unkündbaren Solidargemeinschaft, zu der sich alle Mitgliedstaaten mit ihrem Beitritt verpflichtet haben. In, während und nach der Finanzmarktkrise wurde deutlich, dass die Regierungen keine Inpflichtnahme wollten. Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik blieben bescheiden und – diplomatisch formuliert – wenig kooperativ. Also blieb nur Geldpolitik und die berühmte Erklärung des damaligen EZB-Präsident Draghi, dass alles getan wird, um den Euro zu retten. Wo wäre Deutschland heute ohne den Euro?!
Die EZB übernahm wie auch andere Zentralbanken eine neue Rolle, weil Regierungen sich der Koordination und Kooperation in der Wirtschafts- und Finanzpolitik während der Finanzmarktkrise und ihren Auswirkungen versagten. So kam es zu den milliardenschweren staatlichen Anleiheprogrammen.
Karlsruhe widerspricht dem Europäischen Gerichtshof
2019 billigte der Europäische Gerichtshof die Beschlüsse der EZB für Staatsanleiheprogramme und hielt sie durch das Mandat der EZB gedeckt. Am 5. Mai 2020 rügte das Bundesverfassungsgericht den Europäischen Gerichtshof und urteilte, dass die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank kompetenzwidrig seien. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof 2019 sei objektiv willkürlich. Das legitimiere das Bundesverfassungsgericht, von der Entscheidung des EuGH abzuweichen und die Rechtswidrigkeit der Staatsanleihekaufprogramme festzustellen.
Worum geht es? Mit dem Staatsanleihekaufprogramm der EZB sollen die Geldmenge ausgeweitet, Konsum und Investitionen gefördert und die Inflationsrate auf etwas unter 2 Prozent erhöht werden. Eine versteckte Staatsfinanzierung kann darin nicht gesehen werden. Notenbanken weltweit handeln so, um die Bereitstellung von Liquidität zu sichern und Preiserwartungen stabil zu halten.
Berlin muss nun EZB-Handeln prüfen
Hierin sehen die Verfassungsbeschwerden einen Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen im Gegensatz zum EuGH Recht und forderte Bundesregierung und Bundestag auf, ihrer Integrationsverantwortung zu genügen. Sie müssen nun anhand der EZB-Unterlagen prüfen, ob die Entscheidungen der EZB dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefolgt sind. Wenn diese Verhältnismäßigkeit nicht gewährleistet ist, ist es der Deutschen Bundesbank nach Ablauf von drei Monaten untersagt, sich an den Staatsanleihekauf- Programmen zu beteiligen. Die Deutsche Bundesbank ist der größte Anteileigner der EZB (26 Prozent). Eine solche Bewertung könnte das Aus für die Euro- Zone bedeuten.
Das Urteil trifft nur die Deutsche Bundesbank, die sich gegebenenfalls nicht mehr am Anleihegeschäft beteiligen kann. Alle anderen Staaten sind selbstverständlich frei in ihren Entscheidungen wie auch die Zentralbanken. Alle gehen davon aus, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen nachweisen kann, so dass Bundesregierung und Bundestag ihrer „Integrationsverantwortung“ nachkommen können. Dann ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank bundesverfassungsfest. Dann darf auch die Deutsche Bundesbank weiterhin an den Staatsanleihekäufen teilnehmen. Die Märkte blieben vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts bisher unbeeindruckt und straften den Euro nicht ab.
war als ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im EU-Parlament verantwortlich für die Euro-Einführung für das Europäische Parlament.