Meinung

Aus dem langen Schatten treten: Mit Wumms in eine neue Zeit für die SPD

In der Corona-Krise glänzen die SPD und ihre Vertreter*innen. In den Umfragen macht sich das allerdings nicht bemerkbar. Warum ist das so? Und wie könnte man es ändern? Ein Erklärungsversuch
von Oliver Czulo · 25. Juni 2020
In die neue Zeit: Der SPD-Parteitag 2019 setzte Beteiligungsmöglichkeiten um, die SPDplusplus zuvor eingebracht hatte.
In die neue Zeit: Der SPD-Parteitag 2019 setzte Beteiligungsmöglichkeiten um, die SPDplusplus zuvor eingebracht hatte.

Die „Schattenkanzlerin“, so wurde Saskia Esken jüngst vom „Spiegel“ bezeichnet. Das ist eine bemerkenswerte Beförderung, wird doch einer zentralen Persönlichkeit der SPD eine wichtige, wenn nicht sogar die gewichtigste Rolle im Politikbetrieb der Bundesrepublik zugeschrieben, obwohl sie nicht Teil der Regierung ist. Es ist außerdem ein Tonalitätswechsel bezüglich der Rolle der SPD und ihrer Akteure*innen, auf dem die SPD aufbauen sollte.

Das früher häufig beschworene Mantra des „guten Regierens“ hat sich bisher für die SPD nicht in Umfragegewicht ummünzen lassen, zuletzt sogar trotz großartiger Leistungen bei der Bewältigung der Corona-Krise. Die Ursachen dafür sind sicher vielfältig, aber einen Faktor sollte man nicht unterschätzen: die Macht der Vorstellungen davon, welche Rollen wer im politischen Geschehen einnimmt und welche Beziehungen zwischen diesen Rollen herrschen. Es geht also um den Frame, den Denkrahmen, der dominierende Handlungs- und Bewertungslogiken sowie mögliche Alternativen bestimmt.

Warum werden die Erfolge der CDU zugeschrieben?

Als ungerecht wird empfunden, dass die SPD einen großen Teil der Krisenbewältigung leistet, davon aber nicht gleichermaßen profitiert. Wie kann so etwas sein? Warum wird insbesondere der Kanzlerinpartei der Erfolg zugeschrieben? Eine mögliche Erklärung können wir in der Theorie des metaphorischen Denkens finden, die auf der Frame-Idee aufbaut: Metaphern sind demnach nicht nur lebendige Bildersprache, beim metaphorischen Denken werden ganze Denk-, Handlungs- und Bewertungsmuster, von einem Bereich auf andere Bereiche übertragen.

Die in der Allgemeinheit verbreiteten Denklogiken des Regierungsframes, in den die Bundes-SPD derzeit eingebettet ist, könnten demnach der Arbeitsalltagslogik vieler Bürger entsprechen. Für Leitungspositionen sind inzwischen eher Managementqualitäten gefragt, mit denen man verschiedene Perspektiven integrieren und ausgleichend wirken kann. Die nicht seltene Charakterisierung der Kanzlerin als „Moderatorin“ befördert eine Logik, in der sie als solche Managerin erscheinen kann.

Die SPD nimmt in so einem metaphorischen Rahmen die Rolle einer zuarbeitenden Fachabteilung ein. Anerkannt wird eine gute Zuarbeit, diese wird aber nicht unbedingt über ein gerade mal nötiges Mindestmaß hinaus belohnt: Der Erfolg einer Gesamtabteilung wird gerne der Chefetage zugesprochen. Wer wollte da in den letzten Jahren schon etwas an der Besetzung des Chefinpostens ändern?

Ist die SPD nur Verwalterin?

Die Bundes-SPD befeuerte diese Logik durchaus selbst: In allen drei großen Koalitionen wollte sie sich vor allem als verantwortliche Partnerin zeigen. Oft wurden Gemeinsamkeiten beschworen, wurde die gute Zusammenarbeit gelobt, wurde das Handeln als ein geeintes betont (von kleineren „Ausreißern“ abgesehen). Aus einer solchen Position heraus tat sich die SPD im letzten Bundestagswahlkampf besonders schwer damit, eine große Koalition überzeugend abzulehnen.

Woher könnte ein solches bedingungsloses Einordnen in derartige Logiken kommen? Viele SPD-Akteure*innen auf Bundesebene dürften im Laufe ihres Lebens einen Aufstieg inklusive der einhergehenden Anpassung erlebt haben. Eine Erklärung würde dies für gern genutzte Schlagphrasen wie das „gute Regieren“ und die „staatspolitische Verantwortung“ liefern, die vermitteln sollen, dass zentrale bundesrepublikanische Werte übernommen wurden. Auf ein solides Handeln hinzuweisen ist kein Fehler, im Gegenteil. Das selbsthypnotische Wiederholen dieser Phrasen allerdings stellt die SPD vor allem als eines dar: eine gekonnte Verwalterin.

Wir müssen uns nicht verstecken

Frühere Akteure wie Gerhard Schröder oder Franz Müntefering konnten von ihrem Nimbus als Aufsteiger profitieren, dem aktuellen SPD-Personal fällt dies heute zunehmend schwerer. Aufsteigern wird durchaus zugestanden, dass sie mit Regeln brechen. Dabei besteht auch für Etablierte nicht der Zwang, sich bestehenden Logiken zu unterwerfen. Im Gegenteil: Gerade diejenigen, die die Spielregeln virtuos beherrschen und dies unter Beweis gestellt haben, dürfen sie auch verändern. Etablierte Komponisten*innen können neue Klänge und Instrumente einführen, erfolgreiche Fußballtrainer*innen neue Taktiken.

Die SPD hat es schon lange nicht mehr nötig, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Auch die Furcht als anti-bürgerlich angesehen zu werden, dürfte eigentlich weit zurückliegende Vergangenheit sein. Sich als Underdog zu fühlen, kann gelegentlich motivierend wirken, spiegelt die Realität aber nicht wieder: Mag die SPD auf Bundesebene in Umfragen schwächeln, so ist sie doch auf Landes- und Kommunalebene noch immer eine gewichtige Akteurin und stellt eine ganze Reihe von Führungspersönlichkeiten.

Um eine andere Metapher als die der Arbeitsweltstrukturen zu verwenden: Als etabliertes Team im sportlichen politischen Wettbewerb hat die SPD jedes Recht dazu, die Dynamik des Spiels bestimmen und die Partie dominieren zu wollen.

Was könnte die SPD „von Hamburg lernen“?

Viel wurde bereits darüber diskutiert, was es konkret bedeuten könnte, aus der erfolgreichen Hamburg-Wahl im Frühjahr zu lernen. Der Erfolg in der Hansestadt zeigt, wie es in der Selbstkonzeption und -darstellung anders gehen kann. Werfen wir einen Blick auf eines der zentralen Elemente des Wahlkampfs: den Youtube-Wahlwerbespot, sehr wahrscheinlich häufiger angesehen als das Wahlprogramm.

Schon der Slogan „Die ganze Stadt im Blick“ vermittelt mindestens zwei wichtige Dinge: eine raumgreifende Weitsicht einerseits, ein typisch sozialdemokratisches Kümmern andererseits. Im Spot selbst erleben wir die SPD (vertreten durch den Spitzenkandidaten Peter Tschentscher) als Garantin für die Moderne: eine soziale, vielfältige Stadt, Klimaschutz, wissenschaftlichen und Bildungsfortschritt und eine Wirtschaft für die Menschen. Das klingt anders als einfach nur „Bewahrerin“ eines funktionierenden Staatsapparats zu sein, wie es ein zu häufiges Rumreiten auf der Schlagphrase des „guten Regierens“ vermittelt.

Ein dröhnender Dreiklang

Auf den Bund übertragen muss dies heißen, dass die SPD sich als Akteurin und nicht als Mitarbeiterin präsentiert. Die SPD mag in den letzten Jahren häufig das soziale, ökologische und progressive Gewissen der Regierung gewesen sein. In Zukunft muss dieses Gewissen aber die Hauptrolle spielen. Ich würde sogar sagen, es geht um noch mehr: Ein Mittel zum Zweck mag sein, mal wieder das Kanzleramt zu besetzen. Ziel muss aber sein, das historische Gelegenheitsfenster eines Nachkrisenneustarts auf vielen Ebenen zu nutzen und eine zutiefst sozialdemokratische Gesellschaft zu prägen, in der der Dreiklang sozial-ökologisch-progressiv dröhnend hallt.

Um aus einem langen Schatten zu treten, braucht es manchmal einen Sprung, und zunehmend werden die Töne aus der Bundes-SPD mutiger und selbstbewusster. Die SPD muss sich trauen, von ihrer Gestaltungsmacht Gebrauch zu machen.

Autor*in
Oliver Czulo
Oliver Czulo

ist Übersetzungswissenschaftler und beschäftigt sich mit Denk- und Sprechmustern in verschiedenen Kulturen. Gelegentlich schreibt er zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen.

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