Kultur

Zynischer Menschenhandel

von Renate Faerber-Husemann · 3. September 2014
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Freiheit gegen Geld: Norbert F. Pötzl hat sich mit der Lebensgeschichte von Wolfgang Vogel auseinandergesetzt. Er zeichnet das Bild eines DDR-Unterhändlers, der politischen Häftlingen zur Ausreise in den Westen verhalf und Familien zusammenführte.

Helmut Schmidt hat einmal über Rechtsanwalt Wolfgang Vogel aus Ostberlin gesagt: "Er hat das Kunststück fertig gebracht, das Vertrauen im Westen zu gewinnen ohne es im Osten zu verlieren." Der ehemalige Bundesjustizminister Jürgen Schmude sagte bei Vogels Beerdigung 2008 im bayerischen Schliersee, die Menschen, die sich seiner dankbar erinnern, könnten eine Großstadt füllen. Für einige seiner ehemaligen Klienten aber war und blieb er der Stasimann, der sie bei den Verhandlungen vor ihrer Ausreise aus der DDR um ihr Hab und Gut gebracht hat.

Die Rede ist von einem erstaunlichen Juristen, als ehrlicher Makler geschätzt in beiden Teilen Deutschlands, der in den Jahrzehnten des Kalten Krieges mehr als 33 000 politischen Häftlingen zur Ausreise aus der DDR verhalf. Darüber hinaus war er in mehr als 200 000 Fällen an der Zusammenführung von durch die Mauer getrennten Familienangehörigen beteiligt. Und er war Vermittler beim Austausch von 150 Spionen. Das waren oft langwierige, zähe Geschichten unter Beteiligung von USA und UdSSR, die ihn um die halbe Welt führten.

Menschenhandel als Geldquelle

Als Mauer und Eiserner Vorhang fielen, hatte die Bundesrepublik insgesamt 3,4 Milliarden D-Mark teils in Bargeld, größtenteils in Sachleistungen gezahlt für diesen Menschenhandel, ein durchaus lukratives Geschäft also für die DDR. Und vielleicht stimmt es ja, dass so mancher Häftling vor allem deshalb unter erbärmlichsten Umständen in einem DDR-Gefängnis gelandet war, um später gegen Bares ausgetauscht zu werden.

Dieser Wolfgang Vogel, den man den "Menschenhändler" nannte, ist zweifellos eine schillernde Figur gewesen, ein frommer Katholik, vielleicht auch ein Abenteurer, vor allem aber ein Jurist mit diplomatischem Geschick und von großer Beharrlichkeit. Im Westen vertrauten ihm so unterschiedliche Politiker wie Rainer Barzel, Helmut Kohl, Herbert Wehner, Hans-Jochen Vogel, Helmut Schmidt, Jürgen Schmude und hohe evangelische und katholische Würdenträger. In der DDR war das komplizierter: Viele misstrauten ihm, viele beneideten ihn. Er verdiente gut. Er fuhr teure Westautos, er wechselte nach Belieben die Grenze, er war in Westberlin so zu Hause wie im Ostteil der Stadt. Man ließ ihn gewähren, weil man ihn brauchte für das Geschäft Menschen gegen Geld, das schon bald nach dem Mauerbau 1961 begann.

Auch der Autor der Biografie, Norbert F. Pötzl, war fasziniert von ihm. Die beiden lernten sich 1992 kennen, Pötzl war damals Berliner Büroleiter des "Spiegel", schrieb über ihn, interviewte ihn. Mit der Zeit entstand eine Freundschaft zwischen Pötzl und dem Ehepaar Vogel. Die beiden Männer führten zahllose Gespräche. Nach Vogels Tod gewährte die Witwe, die über viele Jahre auch engste Mitarbeiterin des Anwalts gewesen war, ihm uneingeschränkten Zugang zu Vogels Privatarchiv. Viele Jahre arbeitete Pötzl, der sich schon einen Namen gemacht hatte durch seine Biographien über Barschel, Honecker und Beitz, an dem Buch, vergrub sich in Archiven, sprach mit ehemaligen Häftlingen und Verhandlungspartnern Vogels aus den Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein aufschlussreiches Buch mit dem etwas pathetischen Titel "Mission Freiheit" geworden über jenen Teil der deutsch-deutschen Geschichte, über den Jahrzehnte lang nur wenig bekannt war.

Sympathien für einen Häftling

Nach dem Untergang der DDR geriet der Anwalt selbst in die Mühlen der Justiz. Vogel saß mehr als 200 Tage lang in Untersuchungshaft, er sollte sich angeblich um Millionensummen bereichert und Ausreisewillige erpresst haben, ihr Eigentum dem Staat zu überschreiben. Dabei gab es nach den Gesetzen der DDR keine Ausreise ohne Verzicht aufGrundbesitz. Vogel wurde nach gerichtlichen Auseinandersetzungen durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs voll rehabilitiert. Obwohl viele ihm in dieser Zeit zur Seite standen, SPD-Granden und hohe Kirchenleute ihndemonstrativ im Gefängnis besuchten, freigekaufte ehemalige Häftlinge für ihn aussagten, blieb bei Vogel Verbitterung zurück. Er zog sich zurück nach Oberbayern.

Natürlich war dieser Freikauf von Menschen ein schmutziges, zynisches Geschäft. Doch es hat unendlich vielen Menschen geholfen und brauchte einen Makler, dem beide Seiten vertrauten. Vogel selbst hat das spät in seinem Leben einmal so formuliert: "Meine Wege waren nicht weiß und nicht schwarz. Sie mussten grau sein, anders ging es nicht. Ich wollte Anwalt der Menschen zwischen den Fronten sein."

Norbert F. Pötzl: "Mission Freiheit. Wolfgang Vogel. Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte", Heyne Verlag, 512 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-453-20021-0.

Am 8. September 2014 findet die Buchpräsentation mit dem Autor Norbert F. Pötzl, Ministerpräsident a.D. Lothar de Maizière, Bundesminister a. D. Jürgen Schmude sowie Manfred Hildebrandt, einem der ersten acht freigekauften politischen Häftlinge im Berliner Theater im Palais statt.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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