Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind alles andere als normal. Sie waren über Jahrzehnte von Kriegen, Vertreibung und dem Ost-West-Konflikt geprägt. Auch zurzeit ist
das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten eingetrübt. Die Diskussionen um das Zentrum gegen Vertreibung, die Absicht der polnischen Regierung, die Todesstrafe wieder einzuführen oder die Ablehnung
des polnischen Staatspräsidenten, das Weimarer Dreieck Frankreich-Deutschland-Polen wiederzubeleben, sind nur einige Beispiele, die die deutsch-polnischen Beziehungen belasten.
Nach Ansicht von Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, werden derzeit viele Irrationen von der neuen polnischen Regierung ausgelöst. "Man muss
aber auch selbstkritisch die deutsche Seite betrachten", erklärt Gesine Schwan, die auch für Koordination der deutsch-polnischen Zusammenarbeit zuständig ist. Sie kommt auf das geplante Zentrum
gegen Vertreibung zu sprechen und übt deutliche Kritik an der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach. Diese habe sinngemäß erklärt, dass die
Nazidiktatur für Tschechen und Polen der Anlass gewesen sei, den schon lang zuvor gehegten Wunsch einer Vertreibung der Deutschen Wirklichkeit werden zu lassen. Gesine Schwan: "Das ist
Geschichtsrevisionismus pur." Hier werde ein Geist heraufbeschworen, bei dem es nicht um Versöhnung gehe.
Versöhnung wollen nach Auffassung von Gesine Schwan aber immer größere Teile der Gesellschaft. "Zwischen der deutschen und der polnischen Zivilgesellschaft ist das Verhältnis besser geworden,
wobei die Impulse meist von polnischer Seite ausgehen", betont die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina. Hierbei komme auch der EU eine wichtige Rolle zu, die mit der Osterweiterung neue
Chancen und eine noch größere kulturelle Vielfalt biete.
Dennoch sei das deutsch-polnische Verhältnis von vielen Asymmetrien geprägt. Die Schere schließe sich erst allmählich. Diese Einschätzung teilt auch der polnische Soziologieprofessor
Krzysztof Kosela. "Die Jugendlichen in Deutschland und Polen werden sich immer ähnlicher", meint er.
Und wie zur Bestätigung berichten vier Jugendliche aus dem niedersächsischen Hann. Münden und aus dem ehemals westpreußischen Chelmno über ihre positiven Erfahrungen, die sie im
Schüleraustausch sammeln konnten. Sven aus Hann. Münden gibt zu, dass er anfangs einige Vorurteile hatte. Aber der Austausch habe ihn positiv überrascht. "Ich habe mich richtig wohl gefühlt. Wir
wurden mit offenen Armen empfangen." Paulina und Wojtek, zwei Schüler aus Chelmno, machte der Austausch ebenfalls großen Spaß. Denn sie erfuhren viel über das Nachbarland und sind ebenfalls
freundlich aufgenommen worden.
Eine Sonderposition nimmt Maria ein. Sie lebt mit ihrer Familie in Hann. Münden, stammt aber eigentlich aus Polen. Sie spricht beide Sprachen fließend und ist auch ohne Vorurteile nach Polen
gereist, da sie das Land regelmäßig besucht. Aber auch sie hat neue Eindrücke gewonnen. Und so ziehen alle vier ein positives Fazit.
Auch die Städtepartnerschaft Chelmno - Hann. Münden trägt viele Früchte. Es begann Anfang der 90er Jahre. Da wurde in Chelmno eine Gedenktafel zur Erinnerung an Kurt Schumacher enthüllt, denn
der erste SPD-Vorsitzende nach dem Zweiten Weltkrieg ist 1895 in der Stadt an der Weichsel, die damals noch deutsch war und Kulm hieß, geboren. Dadurch sei die Idee entstanden, eine
Städtepartnerschaft mit einer deutschen Stadt zu schließen, erklärt der Bürgermeister von Chelmno, Mariusz Kedzierski. Durch Vermittlung der Friedrich-Ebert-Stiftung habe man schließlich mit Hann.
Münden eine geeignete Partnerstadt gefunden. "Die Zusammenarbeit hat sich sehr fruchtbar entwickelt", unterstreicht Kedzierski. "Es gibt heute über 20 Projekte, an denen immer mehr Menschen
teilnehmen." Man wisse in Chelmno die finanzielle Unterstützung aus der deutschen Partnerstadt zu schätzen, aber "noch viel wichtiger sind die vielen Freundschaften, die im Lauf der Jahre
entstanden sind", sagt der Bürgermeister.
Auch Armin Hoffarth, stellvertretender Bürgermeister von Hann. Münden, zeichnet ein positives Bild von der Städtepartnerschaft. Er erzählt, dass die Drei-Flüsse-Stadt in Südniedersachsen
sechs Städtepartnerschaften unterhalte. Besonders stolz sei er auf die Partnerschaften mit Holon in Israel und eben mit Chelmno in Polen. "Denn gegenüber diesen beiden Ländern haben wir auf Grund
unserer deutschen Geschichte eine besondere Verantwortung", erklärt der Sozialdemokrat. Diese Verantwortung werde vor allem von den Familien und den Vereinen getragen. "Denn sie sind die
Hauptakteure unserer Städtepartnerschaften", betont Hoffarth.
Jürgen Dierkes
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