Canan Topçu, geboren 1965 in Bursa in der Türkei, lebt seit ihrem neunten Lebensjahr in Deutschland. Sie ist Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau". Und Sie weiß aus eigener Erfahrung,
wie schwer das Deutsch-Werden fällt. Das wird deutlich, wenn sie in ihrem Lesebuch den vielfältigen Motivationen nachspürt, den deutschen Pass zu beantragen oder den alten zu behalten. In
anschaulichen Porträts lässt sie Betroffene zu Wort kommen. Die erklären, warum viele von ihnen lange zögerten. Den offenkundigen praktischen Vorteilen - wie sicherer Aufenthaltsstatus, Wahlrecht
und EU-weites visafreies Reisen - stehen meist nicht nur bürokratische oder juristische Hindernisse im Weg. Vielmehr scheint für die meisten Ausländer die Einbürgerung vor allem eine Frage der
Identität zu sein.
Zentrale Weichenstellung
"Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Wo ist meine Heimat? Wo möchte ich meine Zukunft verbringen?" sind Fragen, die viele mit dem Erwerb der neuen Staatsbürgerschaft verbinden. So wird der
Einbürgerungsakt zum Symbol einer zentralen Weichenstellung im Leben. Verstärkt wird das noch dadurch, dass nach deutschem Recht mit Erhalt der neuen Staatsbürgerschaft die alte aufgegeben werden
muss. Salih Altuncicek beispielsweise erlebte den Moment, in welchem der Beamte im türkischen Konsulat mit einer Schere den alten Pass zerschnitt, wie einen Schnitt in die eigene Identität.
Dennoch fordern Unionspolitiker wie Wolfgang Bosbach, dass es Nebenloyalitäten zur alten Heimat nicht geben dürfe. Er sieht die Einbürgerung vor allem als eine Art Belohnung für gelungene
Integration. In Gesprächen mit den Politikern Sebastian Edathy (SPD) und Cem Özdemir (Die Grünen) sowie dem Migrationsexperten Friedrich Heckmann zeigt Topçu Gegenstandpunkte auf: Für Einbürgerung
müsse mehr geworben werden, die Chancengleichheit im Bildungssystem gewährleistet sein und letztlich damit vor allem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugt werden, lautet der Tenor. Dieser wird
ebenso deutlich, wenn die Autorin von den positiven Erfahrungen der "Neu-Deutschen" mit feierlichen Einbürgerungszeremonien berichtet. Aber auch, wenn der Leser von einem in Syrien geborenen
Wissenschaftler erfahren muss, dass dieser sich auch nach über vier Jahrzehnten in der Bundesrepublik fremd fühle und nun resigniert das Land verlasse.
Deutsche Willkommenskultur
So ist die Botschaft Topçus eindeutig wie nachvollziehbar: Wichtig sei vor allem die Schaffung einer Willkommenskultur, damit sich Einwanderer, deren Kinder und Kindeskinder mit Deutschland
identifizieren könnten. Dabei ist sich die Autorin durchaus der Tatsache bewusst, dass eine positive Vermittlung deutscher Identität aufgrund des historisch bedingten negativen Selbstbildnisses der
Deutschen als Volk schwierig werden könnte.
Es gelingt Canan Topçu mit ihrem "Lesebuch über das Deutsch-Werden" in vortrefflicher Weise den formaljuristischen Akt der Einbürgerung mit Leben zu füllen und damit einen differenzierten und
konstruktiven Einblick in die Lage der Betroffenen zu geben. Ihr Werk trägt dazu bei, dass "Alt"- und "Neu"-bürger sich in Deutschland besser verstehen lernen.
Tobias Quast
Canan Topçu: EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutsch-Werden. Porträts, Interviews, Fakten; Brandes & Apsel, Frankfurt a. M. 2007; 14,90 Euro; ISBN 978-3-86099-726-0
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