„Zentralflughafen THF“: Wartehalle für ein neues Leben
Kaum ein anderer Ort der modernen Welt beflügelt die Fantasie so sehr wie ein Flughafen. Airports stehen nicht nur für den Transport von Menschen und Material von A nach B, sie sind Versprechen und Utopie zugleich. Schauplätze des Übergangs. Start- oder Zielorte eines Neubeginns, der nur einiger Schritte durch das Gate bedarf. Darüber die unendlichen Weiten des Himmels. Der frühere Zentralflughafen Tempelhof (THF) ist zudem historisch aufgeladen und durch verschiedene Nutzungen geprägt: Ab den 30er-Jahren wurde er zum steinernen Manifest des Größenwahns der Nazis, nach dem Krieg zum Schauplatz der Luftbrücke und fortan West-Berlins Tor zur Welt. Dank der Schließung vor bald zehn Jahren entstand hier die größte Spielwiese am Rande der Berliner City. Ab 2015 wurden in den Hangars Flüchtlinge einquartiert, bis im vergangenen Jahr ein Containerdorf am Rande des Tempelhofer Feldes eröffnet wurde.
Transit, Ankunft, und Neubeginn sind Kategorien, die alle Geflüchteten in sich tragen. Doch wie empfinden es Menschen aus krisengeschüttelten Staaten wie Syrien und Irak, ausgerechnet in diesem ebenso bombastischen wie symbolträchtigen Airport die ersten Schritte auf dem Weg in ein neues Leben zu tun? Wie erleben sie den einschüchternden Komplex und das Kontrastprogramm mit Öko-Gärtnern und Hipster-Sportlern draußen auf dem Tempelhofer Feld? Inwiefern finden beide Sphären zueinander? Und was macht all das mit dem längst zum Denkmal erklärten Kolossalbau?
Quälende Routine
All diese Fragen spukten im Kopf des brasilianisch-algerischen Filmemachers Karim Aïnouz herum. Ein Jahr lang filmte er in und vor den Hangars. Seine Erzählung rankt sich um zwei Protagonisten: Der Syrer Ibrahim al Hussein kam mit 18 Jahren allein nach Berlin. Ein Jahr und drei Monate lebte er in der Notunterkunft. Sein Alltag bildet den roten Faden des Films: das lange Warten auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über seinen Flüchtlingsstatus, die einsamen Mahlzeiten oder auch Telefonate mit der Familie. Aus dem Off beschreibt er, wie ihm die Gewalt sein bisheriges Leben geraubt hat, er offenbart aber auch seine Sehnsüchte und Träume. Derweil fängt die Kamera sein neues Umfeld im Spiel von Licht und Jahreszeiten ein. Monat für Monat werden wir Zeuge von Ibrahims Weg. Und da ist Qutaiba Nafea. Drei Monate verbrachte der Physiotherapeut aus dem Irak mit seiner Frau in Tempelhof. Rasch fand der heute 40-Jährige dort eine Beschäftigung im Medizinischen Dienst. Und doch meint man, dass ihm der Neuanfang wesentlich schwerer fällt als dem gut halb so alten Ibrahim. Doch auch Qutaiba gibt nicht auf.
Aïnouz verlangt seinem Publikum einiges ab. Zwar wird die innere und äußere Gestalt des Flughafen-Klotzes immer wieder bestechend in Szene gesetzt, wodurch eine spannende Wechselwirkung zu Ibrahims Selbstzeugnissen entsteht. Trotz der Einteilung in Episoden und die Fokussierung auf zwei Figuren gibt es aber immer wieder Momente, in denen man sich fragt, was der Regisseur eigentlich erzählen will. Mitunter macht sich gar Langeweile breit.
Wie am Flughafen
Doch das ist Teil des Konzepts, denn eben dadurch wird die Lethargie und Ungewissheit, mit denen zeitweise bis zu 3.000 Menschen in den Hangars lebten, zumindest in Ansätzen erlebbar. Ein Dasein in einer Welt, die angesichts der Sicherheitsschleusen an den Eingängen, einer dröhnenden Geräuschkulisse und des steten Flusses an Menschen an einen „echten“ Flughafen erinnert. Eine Welt, in der abgeteilte Wohn-Waben für rund acht Personen kaum Privatsphäre bieten. Wo das Flutlicht ungehindert auf die Betten scheint. Und wo trotzdem viel gelacht wird.
„Zentralflughafen THF“ reicht weit über eine klassische Dokumentation über Flüchtlinge hinaus, leistet aber durchaus einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über das Thema Zuwanderung. Denn letztendlich bemüht sich dieser, nicht nur in Sachen Bildsprache, ambitionierte Film, der bei der Berlinale lief, um eine hoffnungsvolle Perspektive. Diese ist in Zeiten völlig aus dem Ruder gelaufener politischer Debatten über Geflüchtete gefragter denn je.
„Zentralflughafen THF“ (Deutschland/ Frankreich/ Brasilien 2018 ), Regie: Karim Aïnouz, Kamera: Juan Sarmiento, 97 Minuten
Kinostart: 5. Juli