Kultur

„Zeit für Utopien“: Für ein Wirtschaften jenseits der Gewinnmaximierung

Ob Öko-Lebensmittel für Großstädter oder eine Fabrik in Arbeiterhand: In dem Dokumentarfilm „Zeit für Utopien“ ist der Weg von der revolutionären Idee hin zu deren Umsetzung mitunter erstaunlich kurz.
von ohne Autor · 20. April 2018
„Zeit für Utopien“
„Zeit für Utopien“

Agrarkonzerne, deren industrielle Landwirtschaft Ressourcen verschwenden und langfristig die Lebensgrundlagen von Mensch und Tier zerstören. Globalisierte Industriegiganten, die nur auf Quartalszahlen der Aktionäre achten und die Rechte von Arbeitnehmern aushebeln. Wer die weltweiten Auswüchse des Kapitalismus mit kritischem Auge betrachtet, fühlt sich manchmal ziemlich ohnmächtig. Was kann einer allein schon mehr tun, als beim Einkauf politische Korrektheit walten zu lassen, also zum Beispiel bevorzugt nach Bio-Standards hergestellte oder fair gehandelte Produkte zu kaufen? Wer würde schon auf sein Smartphone verzichten, selbst wenn die dafür nötigen Rohstoffe unter menschenverachtenden Umständen aus der Erde geholt werden? Wer will überhaupt auf irgendetwas verzichten?

Global denken und lokal handeln

Der Dokumentarfilmer Kurt Langbein ist der Meinung: Es lässt sich einiges tun! Und das muss nicht unbedingt weh tun. Vielmehr geht es um clevere Geschäftsmodelle und den Mut, selbst die verrückteste Idee selbst unter denkbar schwierigen Umständen in die Tat umzusetzen. Sozusagen gemäß dem Motto: global denken und lokal handeln. Diesem Mut zur Utopie ging der Österreicher auf mehreren Kontinenten nach. In den bayerischen Alpen zeigt der 64-Jährige, wie ein kleiner Bauernhof dank der Unterstützung durch die Kunden den Sprung in die Bio-Produktion mit eigenem Vertrieb geschafft hat. Anhand der Züricher Wohnanlage Kalkbreite wird deutlich, wie Stadtbewohner ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß radikal senken können, ohne dabei Lebensqualität einzubüßen.

In Südfrankreich erklären Fabrikarbeiter, wie sie ihre Teefabrik dem Lebensmittelriesen Unilever, der den Standort dichtmachen wollte, nach mehr als 1.300 Tage währenden Protesten entrissen haben und seit vielen Jahren als Genossenschaft führen. In Südkorea lernen wir die Produktions- und Konsumentengenossenschaft Hansalim kennen, die mit auf kleinbäuerliche Weise erzeugten Lebensmitteln mehr als eine Million Großstadtmenschen versorgt.

Profitable Ware

Ähnlich arbeitet eine Gärtnergemeinschaft im Großraum Wien, die in der Hauptstadt mit frischem Obst und Gemüse aufwartet. Schlussendlich wird anhand des „Fairphones“ dargestellt, wie aus der Idee einer Nichtregierungsorganisation ein erfolgreiches Produkt werden kann: nämlich ein möglichst langlebiges Gerät aus weitgehend nachhaltig erzeugten Mineralien zu vertreiben. Bei letzterem Punkt stecken die niederländischen Macher allerdings noch in den Mühen des Anfangs.

All diesen Projekten ist eines gemeinsam: Wer überleben will, braucht möglichst viel Kontrolle über seine Erzeugnisse, auch durch kurze Wege zum Verbraucher. Im besten Fall sogar geschlossene und überschaubare Kreisläufe. Gerade dann spricht viel dafür, dass aus einer sympathischen Idee eine erfolgreiche, will heißen: profitable Ware wird.

Optimistische Grundhaltung

Wer Interviews mit Langbein liest, dem wird klar, dass er seinen Film durchaus als Manifest sieht. Sein Werben für ein Wirtschaften jenseits des Primats der Gewinnmaximierung ist getragen vom Glauben an Solidarität und Kooperation unter den Menschen. Als historische Vorbilder bemüht „Zeit für Utopien“ unter anderem das im 19. Jahrhundert auf den Weg gebrachte Genossenschaftswesen oder gar das Allmende-Prinzip der mittelalterlichen Landwirtschaft.

Dieser Blick in die Geschichte, aber auch das Bewusstsein, dass seit den Neuen Sozialen Bewegungen nicht nur in den westlichen Industriestaaten ein bedeutendes kapitalismuskritisches Potenzial herangewachsen ist, bildet die Grundlage für die optimistische Grundhaltung des Films. Anstatt zu agitieren, werden alternative Lebens- und Businesskonzepte am Beispiel von Menschen erzählt. Interviews mit Wirtschaftsexperten ergänzen diese Mikroebene durch einen größeren theoretischen Kontext. Diese Vorgehensweise könnte manch einen Zuschauer ermuntern, der Frage „Was kann ich tun?“ eingehender als bislang nachzugehen.

„Zeit für Utopien – Wir machen es anders“ (Österreich 2018), ein Film von Kurt Langbein, 95 Minuten, jetzt im Kino

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