Kultur

Wowereit hat Mut zur Integration

von Die Redaktion · 14. Oktober 2011
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Eine Frage der Haltung

Es sei eine Frage der Haltung, schreibt Wowereit in seinem Buch "Mut zur Integration", ob man Integrationspolitik ernst nimmt. Diese Haltung begründet er in der historischen Tradition der Sozialdemokratie und dem daraus erwachsenem Maßstab für Gerechtigkeit. Dieser bestehe darin, Minderheiten nicht nur zu tolerieren, sondern zu respektieren und akzeptieren. Deswegen geht es dem Autor und regierenden Bürgermeister von Berlin darum Veränderungen mit Offenheit zu begegnen und dabei der sozialen Spaltung entgegen zu wirken. "Mut zur Integration" ist dabei der programmatische Titel einer Haltung, die sich offen für eine Debatte über integrationspolische Themen zeigt und dabei nicht in eine reine Defizitperspektive zu verfällt. Zugleich sei es notwendig die Integrationsdebatte so zu führen, dass Ängste ernst genommen werden. Allerdings macht er auch klar, dass Angst meist unbegründet ist und auf Dauer eines der größten Hindernisse für ein gedeihliches gesellschaftliches Zusammenleben darstellt. Deswegen müsste Provokateuren die Stirn geboten werden. Denn Debatten könnten auf der Grundlage von wissenschaftlich seriösen Problemanalysen geführt werden, nicht jedoch mit schlagzeilenträchtigen Parolen, die einer Überprüfung nicht Standhalten. Grundlage einer Auseinandersetzung sei für Ihn als Sozialdemokraten die gesellschaftliche Realität, für die sich Multikulturalität nicht als Frage sondern als faktische Herausforderung stellt. Deswegen betont er vor allem die sozialen Dimensionen gesellschaftlicher Integrationsprozesse. Dabei stellt er die Bereiche Bildung und Arbeit als "Anker für gesellschaftliche Integration" heraus.

SPD - Die Integrationspartei?

Seit langem war es überfällig, dass ein prominenter, noch dazu erfolgreicher Sozialdemokrat eine klare Stellung zur Integrationspolitik bezieht. Es ist deswegen erfreulich, wenn darin deutlich wird, dass Integration eine politische und zivilgesellschaftliche Aufgabe ist, die sich eben nicht alleine auf Migratinnen und Migranten bezieht. Wowereit macht durch seine zentralen Bezugsgrößen Bildung und Arbeit klar, dass Integration ein Prozess ist, in dem wir uns alle je schon befinden. Er beginnt nicht in der Migration und hört nicht bei Einheimischen auf, sondern erfasst die ganze Gesellschaft. Dass er den Nachholbedarf seiner Partei in dieser Frage betont, spricht für die klare Analyse dessen, was an Debatten in der Sozialdemokratischen Partei notwendig ist. Wenn er allerdings versucht die SPD als "Integrationspartei" mit Rückgriff auf die Arbeiterbewegung darzustellen, scheinen Wunsch und Wirklichkeit miteinander zu verschwimmen. Denn die Arbeiterbewegung war keine einheitliche gesellschaftliche Kraft. Und ihr ging es auch nicht primär um Respekt und Anerkennung, sondern um die konkrete Verbesserung der Lebensverhältnisse. Die politischen Beteiligungsansprüche einer modernen Zivilgesellschaft fußen dagegen auf diesen verbesserten Lebensverhältnissen, sie sind das Resultat einer Bewegung zu der viele politische Kräfte beigetragen haben, nicht nur die Sozialdemokratie. Deswegen war die SPD in der Vergangenheit keine Integrationspartei. Sie war eine Arbeiter-, dann eine Volkspartei und in ihrer letzten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in Teilen neoliberal. Diesen Entwicklungsprozess nun in einer andere Richtung zu lenken, darin besteht der eigentliche Wert einer herausgehobenen Bedeutung sozialer Integration für die Sozialdemokratie. Die Ausführungen zu den konkreten Lebens-, Arbeits- und Wohnverhältnissen machen deutlich, dass eine sozialdemokratische Politik das Potenzial hat tatsächlich Teilhabechancen zu schaffen und Gerechtigkeitsansprüche umzusetzen.

Integration wohin?

Für Wowereit ist klar, dass Integration konkret bedeutet ebenso die gesellschaftlichen Debatten zu berücksichtigen, wie soziale Schieflagen und materielle Konflikte. Denn soziale Verhältnisse können in einer Demokratie nur verbessert werden, wenn alle Teile der Gesellschaft dazu ihren Beitrag leisten. Deswegen gehe es darum "All diejenigen zu vereinen und zu integrieren, die sich für die Ideale einer modernen Gesellschaft einsetzten." Er macht damit deutlich, dass Personen nicht von Oben integriert werden können, sondern dass sich Integration im Prozess der sozialen Teilhabe vollzieht. Die konkreten Ziele von Integrationspolitik können daher nur bedingt benannt werden. Die Sozialdemokratie versteht er dabei als "Avantgarde" die die Ziele in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mitbestimmt und ihre Forderungen an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ausrichtet. Gerade aber diese Heraufbeschwörung einer politischen Avantgarde hat gegenwärtig noch wenig Überzeugungskraft. Denn wenn er schreibt, es sei "nicht glücklich" gewesen, wie die SPD mit "notorischen Provokateur Sarrazin" verfahren sei, dann wirkt dies beschönigend. Die Sozialdemokratie sei in einer "Zwickmühle" gewesen, in der die Wahl zwischen zwei Optionen jeweils unbefriedigend ist. Allerdings verschweigt er, dass die "Zwickmühle" deswegen entstanden ist, weil Sarrazin in der seiner eigenen Partei eine Reihe von Unterstützerinnen und Unterstützern hat. Aber vor allem fehlt es der Analyse von Integration als einem sozialen Prozess, wie er sie in seinem Buch gut entwickelt, an der Einordnung in eine gesellschaftliche Gesamtbetrachtung, die sich nicht in einzelnen Funktionsbereichen verliert. Zwar ist es richtig, wenn Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt abgebaut wird, der öffentliche Dienst interkulturell geöffnet wird, Lehrer interkulturell geschult und Eltern in den Prozess der Bildung ihrer Kinder kooperativ miteinbezogen werden. Auch ist es lobenswert die zunehmende soziale Spaltung als die zentrale gesellschaftliche Problemstellung zu benennen. Doch wie verhält sich dies alles zu den Entwicklungen der kapitalistischen Modernisierung, die uns in den Finanzkrisen ebenso vor Augen geführt werden, wie in dem Wandel der Weltgemeinschaft und der Alltaglebens? Integration in einer modernen Gesellschaft vollzieht sich eben nicht alleine durch den Appell an Offenheit, Respekt und Akzeptanz, sondern muss sich auch mit den Widersprüchen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse auseinandersetzten. Wer also - im Sinne Wowereits - für eine modere Gesellschaft eintritt, hängt auch davon ab, sollte benennen was er unter einer modernen Gesellschaft versteht. Dazu verrät das Buch aber nur in Teilen etwas. Es beleuchtet Einzelbereiche und benennt konkrete Maßnahmen, die in weiten Teilen unstrittig sein sollten. Allerdings finden sich auch populistische Forderungen, wie die nach einem verpflichtenden Vorschuljahr. Dass die meisten Eltern ihre Kinder gut erziehen und selbst einen gewichtigen Beitrag zu ihrer Bildung leisten gerät da aus dem Blick. Zwar ist es klug die Besuchspflicht nicht von der Schule auf die Kinderbetreuungseinrichtungen auszuweiten, weil damit rechtliche Bedenken und das Recht der Elternschaft unberührt bleiben. Aber es stellt sich doch die Frage, warum keine flächendeckende und flexible Schuleingangstufe gefordert wird. Warum müssen Zwänge ausgesprochen werden, wo Angebote nötig wären? Diese Perspektive mag an seinen Berliner Erfahrungen liegen. Wer aber Berlin zum Maßstab für die Republik macht, kommunalisiert seine integrationspolitischen Überlegungen. Benötigt werden aber Antworten, deren Gültigkeit nicht nur in Berlin und Hamburg belegen werden können, sondern auch in ländlichen Regionen noch greifen.

Die Strukturen des Kapitalismus dürfen nicht der Maßstab für Integration sein

Wenn es die Sozialdemokratie mit ihrem Anspruch als politische Avantgarde ernst meint, dann muss sie gesellschaftspolitische Versionen entwickeln, die moderne Gesellschaften normativ bestimmen. Das bedeutet, dass Bildung eben nicht alleine als Voraussetzung für Arbeit und Arbeit nicht als Voraussetzung für materielle Teilhabe verstanden wird. Dieser Zusammenhang erweist sich zwar strukturell als richtig. Aber es ist eben alles andere als einleuchtend, das die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen den Maßstab für Integration abgeben können. Wenn es nach dem Autor des Buches in der Bildung darum geht, die Zukunft nicht zu verspielen, dann muss auch offen dargelegt werden, was das für eine Zukunft sein kann. Bildung fange angeblich "für jeden Aufgeklärten Menschen" in der Kita an. Dies sei heute notwendig, nicht zuletzt aus Gründen der Sprachkompetenz der Kinder von Migrantinnen und Migranten, aber auch der Einheimischen Bevölkerung. Diese Haltung ist in vielen nachvollziehbar. Gleichzeitig steht sie aber in Widerspruch zu anderen, durchaus aufgeklärten Verständnissen von Kindheit. So wurde Kindern in der Romantik ein eigenständiger Raum zugeordnet, der sie von den funktionalen Anforderungen der Gesellschaft befreit. Sie haben darin Raum sich zu entfalten und zu einem selbstbestimmten Subjekt zu werden. Dieser Gedanke war Inspiration für eine ganze Reihe Pädagogen. Wenn Kindheit und in der Folge alle anderen Entwicklungsstufen nur noch unter der Maßgabe integrationspolitische Gedanken und Bedenken betrachtet werden, dann verkehrt sich der Anspruch auf Teilhabe in die Disziplinierung derer, denen Teilhabe ermöglicht werden soll. Integration läuft dann Gefahr kein Prinzip, Konzept oder Einladung zu sein, sondern der Maßstab wie sich Menschen in kapitalistischen Gesellschaften zu verhalten haben. Und dabei scheinen weniger Respekt und Anerkennung für kulturelle Vielfalt die Kriterien zu sein, als Effizienz, Leistung und Wachstum. Diese Ausrichtung erweist sich aber für immer mehr als ein leeres Versprechen. Wenn die SPD auch auf diese normativen Fragen Antworten findet, ist Integration nicht nur ein wesentlicher Bestandteil von Politik, sondern Gesellschaftspolitik ist dann immer auch Integrationspolitik. Wowereit hat trotz aller Einschränkungen einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.

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