World Press Photo: Flüchtlinge im Mittelpunkt
Ein Mann, der ein Baby unter einem Stacheldrahtzaun durchreicht, nachts, an der serbisch-ungarischen Grenze: Das ist das Foto des Jahres 2015, ausgewählt von der World Press Photo Foundation. Die in Amsterdam ansässige Stiftung richtet jährlich den weltweit größten und renommiertesten Wettbewerb für Pressefotografie aus. Der australische Fotograf Warren Richardson drückte am 28. August 2015 auf den Auslöser – und hielt die Szene fest, die stellvertretend für so viele Schicksale geflüchteter Menschen weltweit steht. Fünf Tage übernachtete Warren mit den Flüchtlingen an der Grenze, um drei Uhr morgens versuchten die Flüchtlinge dann, diese zu überwinden. Die Polizei war ihnen auf den Fersen und um die Flüchtlinge nicht zu verraten, verzichtete Warren auf den Blitz. Das einzige Licht: der Mond.
Europäische Politik: zu wenig Mut
Die sogenannte Flüchtlingskrise, sie zieht sich als Thema durch viele der 2015 ausgezeichneten Bilder. Auf dem Foto des Russen Sergey Ponomarev erreicht ein völlig überfülltes Boot mit Flüchtlingen die griechische Insel Lesbos. Das Foto des Sloweniers Matic Zorman zeigt in Regencapes gehüllte Kinder, die an der serbischen Grenze darauf warten, registriert zu werden – um dann ihren langen, beschwerlichen Weg in Richtung EU-Länder fortzusetzen. Viele werden ihr Ziel vielleicht nie erreichen. Anders als Ahmed Asery: Der Musiker hat seine Heimat, den Jemen, verlassen, hat u.a. in Äthiopien und, dem Sudan und England gelebt. Seit fünf Monaten ist er nun in Berlin und sorgte zusammen mit seinem ehemaligen sudanesischen Lehrer Hassan Al-Malik für die musikalische Gestaltung der Ausstellungseröffnung im Willy-Brandt-Haus am Donnerstag.
Dietmar Nietan, Vorsitzender des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus, griff das Thema Flüchtlinge in seiner Rede auf: „Wir sehen sehr viele Bilder von Flucht, Krieg, Vertreibung, von Zerstörung, von Terror.“ Die europäische Politik müsse sich selbstkritisch fragen: „War das, was wir bisher getan haben, genug?“ Es habe nicht genug Engagement gegeben und zu wenig Mut. In dieser Hinsicht müsse Deutschland in Europa mehr Verantwortung übernehmen. Nietan erinnerte auch an einen berühmten sozialdemokratischen Flüchtling, Willy Brandt. Er hoffe, so Nietan, „dass meine eigene Partei es versteht, mit dem Erbe Brandts richtig umzugehen.“
„Wir zeigen entweder alles oder gar nichts“
Für Sanne Schim van der Loeff von der World Press Photo Foundation sind die in diesem Jahr ausgezeichneten Bilder auch eine Herausforderung: „Sie fordern uns heraus, eigene Wahrnehmungen und Vorurteile zu hinterfragen.“ Presse- und Meinungsfreiheit seien nicht einfach gegeben, sondern auf allen fünf Kontinenten bedroht. Van der Loeff berichtete, jedes Jahr kämen Anfragen aus verschiedenen Ländern, bestimmte Bilder nicht in die Ausstellung aufzunehmen. Letztes Jahr beispielsweise durfte die Ausstellung nicht in Russland gezeigt werden – das Siegerfoto 2014 zeigte ein schwules russisches Paar. Die Haltung der World Press Foundation ist aber klar: „Wir zeigen entweder alles oder gar nichts.“
Stargast des Abends war eindeutig der Fotograf des Siegerfotos, Warren Richardson. Der Australier verließ seine Heimat „weil die mir irgendwie zu klein wurde“. Er lebte zeitweise in einem Kloster – Schweigegelübde inklusive –, erlebte den Tsunami 2004 mit und arbeitete einige Jahre als Paparazzi. Heute wohnt Richardson in Budapest, wo er seit Monaten Flüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze fotografisch begleitet. Im Willy-Brandt-Haus berichtete er, wie es zu der nächtlichen Szene am Stacheldrahtzaun kam – und welche Angst die serbischen Flüchtlinge hatten, von der Polizei entdeckt zu werden. „Ich habe nur das Foto gemacht“, so Richardson, „es ist der Mann auf dem Foto, der die Auszeichnung verdient.“