Kultur

„Wo alles in der Welt aufbrach“

von Die Redaktion · 3. Juni 2008
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"Von Prag nach Berlin" lautete der Titel der Eröffnungsveranstaltung. Jiri Dienstbier, Jiri Grusa, Lionel Jospin, Adam Michnik, Oskar Negt und Friedrich Schorlemmer sprachen darüber, wie sie das ereignisreiche Jahr 1968 wahrgenommen haben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier betonte in seiner einleitenden Rede, dass weder die deutsche noch die europäische Einheit ohne die Courage der osteuropäischen Staaten möglich wäre.

Aufbruchstimmung rund um den Globus

Steinmeier erinnerte an die Aufbruchstimmung rund um den Globus - "von Prag bis Paris, von Mexiko bis Vietnam". Er unterstrich die "internationale Dimension der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit". Im Bild der deutschen Medien sei das Jahr 1968 zu stark von der Studentenrevolte im Westen geprägt.

Der Außenminister sprach von der Ostpolitik Willy Brandts, die ohne den Aufbruch der 68er nicht möglich gewesen wäre. Wie zentral etwa Brandts Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze war betonte auch der polnische Publizist Adam Michnik. Denn danach konnten die Machthaber das Bild von Deutschland als Feind nicht länger halten.

Im Osten lehnte sich die Bevölkerung gegen ein starres System auf. Sie rebellierte gegen "diese blockierte Gesellschaft", so Adam Michnik. Der Schriftsteller und Diplomat Jiri Grusa erinnerte an die neue mediale Vernetzung, die die Bilder des Prager Frühlings 1968 in die Welt trug. Und mit ihnen die Idee eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Demokratischer Impuls

Der Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer brachte seine damaligen Hoffnungen als DDR-Bürger zum Ausdruck, die 1968 in zwei Richtungen gingen: Einerseits nach Prag, und andererseits in den Westen. Denn "wo alles in der Welt aufbrach, war Ulbricht auf dem Höhepunkt seiner Macht, unterdrückte jeden kleinsten Widerstand".

Der Sozialphilosoph Oskar Negt unterstrich, den Unterschied zwischen Protestbewegungen in totalitären Systemen und jenen in Demokratien. In Deutschland habe 1968 erstmals in der Geschichte die Masse der Jugendlichen nach links ausgeschlagen. - Und ermöglichte damit erst "die effektive Auseinandersetzung mit dem Erbe des Dritten Reiches", so Negt.

Im Osten nahm 1968 die machtvollste Bewegung der modernen Geschichte ihren Anfang. Sie führte zum Zusammenbruch eines Systems - 1989 sei kein Schuss mehr gefallen. Dieser demokratische Impuls, das Einklagen von Teilhaberechten, von basisdemokratischen Elementen sei der zentrale, bleibende Anstoß von 1968.

Mit Musik, Performances, Filmen und Gesprächen ging es in der Akademie der Künste eine ganze Nacht lang um die Schnittstellen der Protestbewegungen des Jahres 1968 und die Entwicklung hin zum Jahr 1989. Zu dem spannenden Abend hatten "Zipp - deutsch-tschechische Kulturprojekte" und die Kulturstiftung des Bundes eingeladen.

Birgit Güll

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