Ob das Jahr der Abwrackprämie dem Autokult in der Literatur eine neue Hochkonjunktur einbringt, scheint fraglich. Der zu beobachtende Schwund von Altautos auf unseren Straßen bestätigt den
Erfolg der Maßnahme, doch bildet man sich mit Wohlwollen ein, dass finanziellen Anreizen zum Trotz stille Genügsamkeit bei so manchem ausreicht, immer noch Karossen des 20. Jahrhunderts zu
fahren. "Ich gebe doch nicht meinen Alten her", mögen sich jene denken.
Wollte man eine Literaturliste zur Legendenbildung offiziell schrottreifer Autos anlegen, so dürfte der Erstlingsroman "Fyksens Tankstelle" von Lars Mytting keinesfalls fehlen.
Früher
Der Prolog, als "Früher" betitelt, stellt schon unmissverständlich den Bezug her: "Es gibt nur einen Ort, wohin du gehen kannst, wenn du von der Tochter des Schrotthändlers betrogen worden
bist. Zurück zum Schrottplatz. Zu den Autowracks, den auf Null gestellten Tachometern, den Motoren mit Rostfraß in den Zylindern. Zur Schrottpresse." Hier gilt es, die einzelnen Bau - und
Bestandteile vergangener Epochen zu prüfen, auszusortieren und wiederzuverwenden. Es drängt sich förmlich auf, auch die Liebe zu reparieren und sich mit dem Auto der Sehnsüchte aufzumachen: zum
Polarkreis, wo die unerfüllte Liebe von damals hingezogen ist.
Heute
Erik ist im "Jetzt" ein vernarrter Tankstellenbesitzer und Automechaniker im Provinznest Annor, irgendwo an der Fernstraße E6 zwischen Oslo und Trondheim. Vergeblich versucht er die letzte
verbliebene Mobil-Tankstelle mit dem Pegasus-Logo vor der im wahrsten Sinne des Wortes gefräßigen Konkurrenz zu schützen, die mehr an die hungrigen Autofahrer als an die durstigen Autos denkt.
Nun soll Fyksen auf der neu geplanten Umgehungsstraße ein Grundstück für die "Tankstelle der Zukunft" erhalten. Die Auflagen der in Oslo ansässigen Ellen Lysaker, "Senior Development Manager der
Hydro-Texaco Main Market Divison" sehen alle möglichen Bedarfsartikel vor, nur keine Ölfilter und Zündkerzen.
Danach und Davor
Auch wenn Erik mit Ellen während ihrer Stippvisiten in Annor ein Techtelmechtel eingeht, bleibt er hart und baut an der neuen Straße eine Kopie seiner alten Tankstelle. Bis die
Gerichtsvollzieher kommen und ihm den Zwangsbankrott aufzwingen. Erik Fyksen schlägt das nachfolgende Jobangebot aus, für eine Hydro-Texaco-Tankstelle in Ringebu zu arbeiten. Stattdessen
übernimmt er den Schrottplatz von Werner Grundtvig und macht sich mit seinem Ford F-150 zu Werners Tochter Tora auf. Damit schließt sich die Verbindung zum Prolog, das Danach begegnet dem Davor.
Späte Lesefreude
Mitunter fällt es schwer, den von Markennamen durchsetzten Plot zu lesen. Jede Marke könnte zur Mythologisierung eines Gebrauchsartikels beitragen, angefangen vom Quaker-State-Motoröl bis
zu den Gilbarco-Zapfsäulen. Erst wenn der Roman sich in einer teils realen, teils fiktiven Markenwelt eingerichtet hat, kommt die teilweise wie ein Drehbuch konzipierte Handlung in Gang. Der
Auto-Laie möchte nach zehn Seiten am liebsten eine Enzyklopädie zu Rate ziehen, in der die legendären Modelle der 60er Jahre aufgeführt sind. Damals waren die Tankstellen noch die Tempel der
Moderne, in denen man sich mehr um das Objekt kümmerte als um das Subjekt. Die Devise war stets der gute Service fürs Auto, nicht das unsägliche Vollstopfen der Autofahrermagen.
Der Stoff würde wunderbar in eine norwegische Tragikomödie passen. Die Leinwand könnte die Markenwelt rund um das Automobil besser abbilden als jedes Buch. Die letzten Seiten nach Eriks
kurzlebigem Tankstellenumzug sind jedoch eine wahre Lesefreude: Sie zeigen eindrucksvoll die Vermenschlichung des Objektes, das zu neuem Leben erwacht. Der Schrottplatz ist ein Friedhof von
Markenartikeln; wenn die Verschrottung Hochkonjunktur hat, ist er friedloser denn je.
Thomas Edeling
Jetzt als Taschenbuch erschienen!
Lars Mytting: Fyksens Tankstelle, Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob, Piper Verlag 2009, 288 Seiten, 8,95 Euro, ISBN 9783492253017
Als Hardcover:
Lars Mytting: Fyksens Tankstelle, Ausdem Norwegischen von Günther Frauenlob, Piper Verlag 2007, 288 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 9783492050340
Thomas Edeling ist Doktorand an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, Musiker, Wanderer und Literat