Kultur

"Wie ich mal rot wurde"

von Julian Zado · 26. Februar 2011
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Haberl stört sich an den einseitigen Berichterstattungen, die er immer wieder liest. Er möchte sich eine eigene Meinung bilden und tritt deshalb in die Partei ein, die er suspekt und faszinierend zugleich findet. Monatelang ist er in Der Linken. Er nimmt an Sitzungen teil, beobachtet die Diskussionskultur seiner neuen Genossinnen und Genossen. Er hält die Fahne Der Linken auf einer Demonstration, verteilt Flugblätter gegen den Krieg und engagiert sich für seine Partei im Bundestagswahlkampf 2009. Nach und nach lernt er so Die Linke von innen kennen...

Stopp. Falsch. Fehler. Das ist Vorstellung die man beim Lesen des Klappentextes von "Wie ich mal Rot wurde - Mein Jahr in der Linkspartei" bekommt. Im Buch geht es zunächst aber um etwas ganz anderes. Es geht um Tobias Haberl, den Autor. Haberl wuchs behütet in einer bürgerlichen Arzt-Familie auf. Er hat keine Geldsorgen, er ist politisch informiert, aber er ist nicht links. Das ist die Grundkonstellation des Buches, sie verspricht Spannung. Man freut sich von Kulturschocks, Missverständnissen und anderen heiteren Episoden zu lesen.

Kindheits-Anekdoten statt Parteiveranstaltungen

Diese Ausgangssituation ist dem Autor offenbar so wichtig, dass die ersten 80 Seiten nichts anderes als eine autobiografische Erzählung sind. Wir erfahren, dass Haberl nie Klassensprecher war, nachts einmal in ein Schwimmbad eingebrochen ist und dabei erwischt wurde und mit etwa 16 Jahren versuchte das erste Mal Sex zu haben. Der Leser erfährt auch viel über die Auseinandersetzung zwischen Haberl und seinem Vater. Veranstaltungen der Linkspartei dienen dabei nur als Aufhänger.

Meist berichtet Haberl, wie er sich auf einer Linken-Veranstaltung langweilt und schon widmet er sich seiner Kindheit. Die Anekdoten sind dabei von einer solchen Belanglosigkeit, dass man sich fragt, wie der Verlag sie durchgehen lassen konnte. Sie stellen die Disziplin, das Buch weiterzulesen auf eine harte Probe. Ab Seite 81 geht es dann aber tatsächlich verstärkt um Die Linke. Haberl erzählt von seiner Aufnahme in der Partei und davon, wie er überrascht bemerkt, dass man sich selbst einbringen muss, um aktives Parteimitglied zu werden. - Für alle, die sich in einer Partei oder einer anderen Organisation engagieren, sicher keine völlig neue Erkenntnis.

Verdeckt Recherche - objektives Urteil?

Er erzählt Begegnungen und Ereignisse in Der Linken, die er gekonnt anschaulich schildert. Zum Beispiel die vielen Sitzungen, auf denen es Leute gibt, die diese möglichst schnell und effizient hinter sich bringen wollen und jene, für die die Sitzung das Highlight des Tages ist, das sie so lange wie möglich auskosten möchten. Die unterschiedlichen Motive für das Engagement in der Partei werden dargestellt. Zum Schluss erzählt Haberl von seinen Begegnungen mit den Partei-Promis, wie zum Beispiel Sarah Wagenknecht, in der er sich fast verliebt.

Immer wieder rechtfertigt Haberl sein journalistisches Vorgehen vor seinen (ehemaligen) Genossinnen und Genossen, die sich von ihm hintergangen fühlen. Er rechtfertigt seine verdeckte Recherche im wesentlichen damit, dass er sich anders kein objektives Bild hätte machen können. Die Erwartung auf ein objektives Urteil, dass er damit verspricht, muss enttäuscht werden. Haberls Herangehensweise ist - auch wenn er sich darum bemüht - nicht vorurteilsfrei. Er macht sich lustig über geschlechtergerechte Sprache, ohne seine Position zu begründen. Er lehnt "natürlich den Sozialismus ab" - und nennt ausschließlich Gründe, die dagegen sprechen.

Gefangen in der Selbstreflexion

Haberl macht immer wieder sich selbst und seine Einstellungen zum Thema. Folglich muss er damit leben, wenn diese Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zum Beispiel die Tatsache, dass er sich über seinen Bekanntenkreis lustig macht, der abgehoben in einer Schleife der Ironie gefangen ist, während Haberl selbst vor lauter selbstreflexiver Ironieschleifen schon ganz schwindelig sein muss. Oder wenn er sich über den Text eines Genossen lustig macht, der voller Fehler ist, während er einige Seiten später die "Versager von der AStA" (AStA steht für Allgemeiner Studierendenausschuss) kritisiert.

Insgesamt erzählt das Buch nur phasenweise interessante und lustige Episoden. Über das Innenleben Der Linken erfährt man nichts Besonderes. Jedenfalls nichts, das man nicht so oder so ähnlich auch in anderen Parteien erfahren würde. Wer also das Innenleben einer Partei an sich kennenlernen will, fährt mit dem Buch über weite Strecken noch ganz gut. Wer auf Enthüllungen aus der Linkspartei hofft, sollte selbst recherchieren.

Tobias Haberl: "Wie ich mal rot wurde. Mein Jahr in der Linkspartei", Luchterhand Verlag, München, 2011, 256 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-630-87352-7

Autor*in
Julian Zado

ist stellvertretender Vorsitzender der Berliner SPD.

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