Hannah sitzt da und summt leise das Lied von dem Rosenregen und den Wundern, die ihr begegnen sollen. Einen Moment lang hält sie inne, starrt vor sich hin. "Ich find es so genial, dass man
sich einfach das Beste wünscht und das auch aushält." Hannah arbeitet in Köln als Stadtführerin. Mit ihrer Jugendliebe war sie 12 Jahre zusammen, er betrog sie und seither pflegt sie ihre
Obsession, Kissen zu testen. Vor kurzem hat sie ein E-Piano gekauft, doch da gibt es ein Problem: Hannah traut sich nicht, die Tasten laut anzuschlagen. Wegen den Nachbarn und weil ihre Eltern
ihr immer verboten hatten, laut zu sein. Manchmal wundert sie sich über sich selber.
"Ich hab alles erlebt" sagt Foxi und kratzt sich an seinem Bauch. Er verkaufte sein Lokal, ließ sich scheiden und verprasste in einem halben Jahr sein ganzes Geld. Feierte viel und war auch
mal mit Zuhältern unterwegs. Klar, wenn er gespart hätte, würde er jetzt wohl drei, vier Lokale besitzen, meint er. "Aber wozu sparen? War ne schöne Zeit, ne..." Wegen einer Schlägerei musste er
zwei Jahre in den Knast. Dann ging er nach Köln und begann seine Arbeit als Taxifahrer. Aus seiner Hosentasche zieht er ein kleines Passfoto hervor, es zeigt seinen Sohn. Hin und wieder lässt er
ihn durch einen fernen Verwandten grüssen. Er wartet bis heute auf seinen Besuch.
Während Foxi erzählt, bäckt Nastasja einen Kuchen. Sie redet viel vom Backen und probiert immer wieder neue Rezepte aus, um weiterzukommen. Der Job in der Bäckerei, den sie zufällig durch
eine Freundin bekommen hatte, wurde zu ihrem Lebensinhalt. Ihre Hand ist auf die Brust gelegt, der Zeigefinger klopft nervös auf und ab. Vor ein paar Monaten ist ihr Sohn zu einer Pflegefamilie
gezogen. "Ich habs nicht hingekriegt." Sie guckt besorgt drein, im Kinderplantschbecken stehend, dann wendet sie sich ab und kehrt zurück in die Backstube.
Juris sitzt lächelnd auf seinem Bett und spricht von Liebesbeziehungen der "unteren und der oberen Region". Und davon, wie er mit einem Koffer voll Kaviar und einem Koffer voll kubanischen
Zigarren von der Sowjetunion nach Köln auswanderte. Wie er krank vor Liebeskummer wurde, Blut spuckte und so zum Buddhismus kam. Er verschwindet kurz, erscheint in seinem Mönchsgewand wieder.
Strahlt, setzt sich hin und meditiert.
Poesie des Alltags
Hannah, Foxi, Nastasja und Juris leben einen Moment lang nebeneinander, auf der Bühne des Berliner HAU. Sie begegneten in Köln zufällig vier Schauspielern, auf der Strasse oder beim
Müsliessen, und ließen sich Monate lang von ihnen begleiten, bis diese ihre Lebensgeschichten aufführen. Es handelt sich um Menschen wie du und ich, die aus ihrem Leben erzählen, sich öffnen, als
sitze ihnen ein enger Freund gegenüber. Und der "Freund" lauscht gebannt, denn gerade dieses Natürliche, Alltägliche ist spannend.
"Kölner Affäre" ist ein berührendes Theaterstück, mal tragisch, mal komisch, vor allem aber menschlich. Die Idee des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis, dass Poesie im Leben des einzelnen
Menschen liegt, wird von den Darstellern sehr überzeugend umgesetzt. Schade nur, dass nicht alle vier Charaktere von Schauspielern verkörpert werden. Juris Baratinskis spielt sich selbst und
scheint dabei oft in Selbstinszenierung überzugehen. Doch das ist bald vergessen, als ich das Theater verlasse und mich im Bus neben eine Frau setze. Wer ist sie, die neben mir sitzt und Musik
hört? Wohin will sie, was treibt sie an? Würde sie's mir erzählen? Würde ich ihr zuhören?
Kölner Affäre
Halle Kalk, Neuerburgstraße
51103 Köln,
Do 28. Und Sa 30. Mai, 19:30 Uhr
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