Kultur

„Wer weiter liest, wird erschossen!“

von Birgit Güll · 3. Dezember 2008
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Die renommiertesten Schriftsteller und Journalisten der Zeit finden sich im Autorenregister der "Weltbühne". "Sie haben dort geschrieben, gestritten und geirrt, sie haben deklamiert, agitiert, sie haben gehofft, aufbegehrt und resigniert", schreibt Heribert Prantl im Vorwort des Buches. Nur wohltemperiert seien sie nie gewesen, aber "es waren ja auch keine wohltemperierten Jahre für Deutschland", die Jahre von 1918 bis 1933.

"Mein geronnenes Herzblut"
"Mein geronnenes Herzblut", soll Siegfried Jacobsohn gesagt haben, wenn er über seine "Weltbühne" sprach. Als "Schaubühne" hatte der damals 24-jährige Theaterkritiker sie 1905 gegründet. In den folgenden dreizehn Jahren erweiterte sich das inhaltliche Spektrum der Theaterzeitschrift so sehr, dass sie im April 1918 in "Weltbühne" umbenannt wurde.

Mit scharfer Kritik begleitet die parteiunabhängige "Weltbühne" die erste Phase der jungen Weimarer Republik. Dass sie sich nicht entschieden genug auf die Seite der Demokratie gestellt habe, wird ihr gelegentlich noch heute von ihren Gegnern vorgeworfen. Dabei hatte Kurt Tucholsky bereits im März 1919, in seinem Artikel "Wir Negativen" erklärt: "Es soll mit eisernem Besen jetzt, gerade jetzt und heute ausgekehrt werden, was in Deutschland faul und vom Übel war und ist." Und weiter: "Wir wollen kämpfen mit Haß aus Liebe".

"Aus Teuschland Deutschland zu machen"
Das Blatt begrüßte die Demokratie. - Und kämpfte gerade deshalb gegen den Fortbestand der alten Machteliten, gegen Antisemitismus und Nationalismus und gegen die Militarisierung der Gesellschaft. Jacobsohn beharrte auf der radikalen Unabhängigkeit seiner Zeitung - und gestand diese auch seinen Mitarbeitern zu. Meinungspluralismus zeichnete seine "Weltbühne" aus. Fast 2000 Autoren konnte er im Laufe der Jahre für sie gewinnen.

Überraschend starb der 46-jährige Jacobsohn 1926. Kurt Tucholsky trat seine Nachfolge an, bis der politische Publizist Carl von Ossietzky ihn ablöste. Die "Weltbühne" setzte ihren Kampf für die Demokratie fort. Vom "Drang, aus Teutschland Deutschland zu machen und zu zeigen, daß es außer Hitler, Hugenberg und dem fischkalten Universitätstypus des Jahres 1930 noch andere Deutsche gibt", schreibt Tucholsky. Die Autoren der "Weltbühne" haben "politisiert, als ginge es um ihre Leben, und das war auch so", unterstreicht Prantl.

"Der Geist wird verboten"
Doch zunehmend resignierten die "Weltbühne"-Mitarbeiter: Im Januar 1932 beschrieb Axel Eggebrecht, wie sehr die Diktatur bereits Wirklichkeit geworden war. "Nur noch kurze Zeit Geduld: Wer dann in Deutschland von geistiger Freiheit spricht, der hält Leichenreden." Zu lange habe man zugesehen. "Nun ist es zu spät. Der Geist wird verboten. Wer weiter liest, wird erschossen!", so Eggebrecht.

Ein Jahr später, am 7. März 1933, erschien die letzte Ausgabe der Weltbühne. Viele ihrer wichtigsten Autoren wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, nicht allen gelang die Flucht. "Ihre Bücher gehörten zu den ersten, die die deutschen Studenten am 10. Mai 1933 in die Flammen warfen", betonen die Herausgeber des Lesebuchs Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt.

48 000 Seiten "Weltbühne"
Etwa 48 000 Seiten "Weltbühne" liegen heute - auch im Nachdruck - vor. Für das Lesebuch wurden daraus Artikel aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausgewählt, und zu thematischen Kapiteln gruppiert. Sie spiegeln zentrale Themen der Zeitung wider und geben Einblick in dieses bedeutende Medium und seine Zeit. Allerdings ist das Bild ein verzerrtes, denn die Kultur, die in der als Theaterzeitschrift gegründeten "Weltbühne" immer eine wichtige Rolle spielte, bleibt unterrepräsentiert. Wenn die Herausgeber dies mit der geringeren Aktualität begründen, greift das zu kurz.

Bedauernswert ist die Tatsache, dass einige Artikel gekürzt abgedruckt wurden. Bei allem Verständnis für den Wunsch, so viele Texte wie möglich unterzubringen, konterkariert dieser Eingriff das Vorhaben der Herausgeber: "Anhand von Originaltexten" ein Annähern an die umwälzende Zeit zu ermöglichen, und sie aus der Perspektive der "Weltbühne"-Autoren zu betrachten. Dennoch ist das Lesebuch ein Lesevergnügen und eine lohnenswerte Lektüre, die den Ruhm, den die Weltbühne auch heute noch genießt einmal mehr rechtfertigt.


Friedhelm Greis/ Stefanie Oswalt (Hg.): "Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur 'Weltbühne'" mit einem Vorwort von Heribert Prantl. Lukas Verlag, Berlin, 2008, 540 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-86732-026-9


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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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