Das Buch ist sehr anrührend. Vielleicht ist es das nicht nur, weil die einzelnen Beiträge interessant geschrieben sind, sondern auch deshalb, weil es hierzulande einfach alle betrifft: die
selbst 1926/27 Geborenen oder deren Kinder, Enkel, Urenkel. Mit den Folgen des Geschehens in der Diktatur des Nationalsozialismus haben wir uns immer noch auseinanderzusetzen.
Gegenwärtiges Erinnern
Für die, die dem Jahrgang 1926/27 angehören, geht es jedoch um mehr als das. Für sie bedeutet es nicht zuletzt schreckhaftes Erinnern an den Krieg, an Bombenangriffe, an verlorene Angehörige.
Uta Ranke-Heinemann etwa beschreibt, dass sie als Jugendliche nach dem Fall der Bomben immer ganz selbstverständlich an das Beräumen der Trümmer ging, als wäre das eine normale und gewohnte
Tätigkeit. Als 1999 Bomben auf Belgrad und Bagdad fielen und sie per Fernsehen Bomber am Himmel wiedererlebte, sei die nicht zu ertragende Angst gekommen. Die Heinemanns gehörten zu denen, die in
ihrem Keller Verfolgte versteckt hatten.
Kinder des Krieges
Die zum Kriegsende hin gerade Erwachsenwerdenden waren sechs oder sieben Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. Sie erlebten den Krieg als Kinder und das Ende des Krieges als dessen letztes
zu verheizendes Aufgebot.
Die Eltern waren manchmal überzeugte Parteigänger der NSDAP, machmal durch kirchliche oder sonstige Bindung anders geprägt, manchmal durch eigenes Erleben zur Einsicht gekommen. In fast jedem
Falle aber waren die Jugendlichen eingebunden in ein System, das ihre persönlichen Freiheiten beschnitt und ihnen den Glauben aufzwang, es müsse so sein.
Von der Beschränkung der Gedanken- und Willensfreiheit
Manch einer von ihnen - wie zum Beispiel Hans-Jochen Vogel quält sich heute noch mit der Frage herum, wie er sich mit beschönigenden Antworten angesichts von Feuerwehrleuten und Polizisten
nicht gelöschten, sondern weiter entfachten Brandes einer Synagoge zufrieden geben konnte. Gegen den eigenen Staat Widerstand zu leisten, war ohnehin auch bei kritischen Geistern in aller Regel
unvorstellbar. Wo gedanklicher Austausch lebensgefährlich sein kann, hat nicht nur der Aufruf zum Widerstand es schwer, Verbreitung zu finden, sondern schon die bloße Weitergabe von Informationen.
Anklagen oder fragen
Gemeinhin wird danach gefragt, wer sich in schlimmen Zeiten in Schuld verstrickt hätte und wie es danach mit der Sühne ausgesehen hätte. Die Lebensläufe derer, die in diesem Buch berichten,
zeigen, dass es nicht so einfach ist mit der Frage nach solchem Sachverhalt. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um Jugendliche handelt, die in den Krieg gezwungen waren. Ohnehin aber ist es
schwer, Zeiten einzuschätzen, die selbst nicht durchlebt wurden. Unterschätzt wird oft der Effekt von Täuschung und Selbsttäuschung. Und dann steht nur noch die Frage im Raum, warum einer nicht den
Mut zum Widerstand gehabt habe. Mut allein aber - in der Geschichte vielfach zu besichtigen - reicht nicht immer. Zunächst einmal bedarf es der Einsicht, und auch diese ist an einige
Voraussetzungen gebunden.
So kann - zum Glück - Vorbildlichkeit aus dem Erkennen des Irrens erwachsen. Wo ohne viel zu fragen, angeklagt wird, ist häufig der nächste gefährliche Irrtum nahe, denn die Wahrheit ist
nicht unabdingbar das genaue Gegenteil des Falschen. Wir brauchen das Erzählen über das Vergangene genau in dieser Weise.
Über den Herausgeber
Der in Köln gebürtige Herausgeber Alfred Neven DuMont gehört selbst der Generation der 1926/ 27 Geborenen an und hat auch einen der Berichte verfasst. Als Herausgeber des Kölner
Stadt-Anzeigers, des in Halle ansässigen Mitteldeutschen Verlages und der Frankfurter Rundschau hat er publizistisches Leben inDeutschland mitgeformt, wurde Kölner Ehrenbürger und Honorarprofessor
an der Martin-Luther-Universität. Zusammen mit den anderen Autoren und Autorinnen, allesamt Träger und Trägerinnen bekannter Namen, untersucht er die Frage nachden Möglichkeiten und Spielräumen
individuellen jungen Lebens in der Nazizeit und am Ende des Krieges. Dem Nachfragen der Nachgeborenen eröffnet das Buch die Möglichkeit weiter zu fragen, ohne zu verletzen.
Wie widerständig wäre man selbst gewesen?
Selbstüberhebung ist immer ein Verhängnis, gleichgültig, in welcher Zeit man lebt. Welcher Anregung bedarf der Zweifel sich zu offenbaren und zu behaupten? Woran darf man zweifeln, wenn
allgemein behauptet wird, alles liefe in die unbezweifelbar richtige Richtung und wenn es einem persönlich dabei zeitweise sogar besser geht als zuvor? Wogegen muss man sich auflehnen, wogegen
nicht.
Wie widerständig wäre man selbst gewesen? Das ist eben nicht nur eine Frage persönlichen Mutes. Welche Alternativen stellen sich, um anständig zu sein und zu bleiben? Die Frage stellt sich in
jeder Zeit und sie setzt für alle Nachdenklichkeit voraus.
Dorle Gelbhaar
Alfred Neven DuMont (Hrsg.) "Jahrgang 1926/27. Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz", Du Mont Buchverlag, Köln 2007, 240 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-8321-8059-1
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