Kultur

Wer ist besser integriert?

von Bernhard Spring · 22. Oktober 2010
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Generell darf der geneigte Theaterbesucher ja äußerst skeptisch reagieren, wenn ausgerechnet ein Roman für die Bühne bearbeitet und dann als große Sensation angepriesen wird - als gäbe es nicht genug taugliche Theaterstücke! Als könne man dem Prosaautor posthum so einfach in sein Meisterwerk kritzeln, bis ein Drama daraus wird!

Aber bei Feuchtwanger (1884-1958) ist alles anders. Zum einen zeugen seine Romane von einer unglaublich dramatischen Handlungsstruktur, sodass eine Bühnenfassung keinerlei Verschandelung des Werkes, sondern ganz im Gegenteil recht nahe liegend ist. Zum anderen - und das bedingt das erstere - begann ja Feuchtwanger seine literarische Laufbahn am Theater, sowohl als Kritiker als auch als Bühnenautor.

Nun erfreuen sich die Stücke des jungen Feuchtwangers, die er während des Weltkrieges schrieb, nicht besonderer Beliebtheit bei Kritik und Publikum, was bis auf wenige Ausnahmen weniger der Schaffenskraft Feuchtwangers als den Zeitumständen verschuldet ist. Populär waren seine altindischen Schauspiele - aber heute interessiert sich das deutsche Theaterpublikum wesentlich weniger für Stücke in buddhistischer Manier. Verboten hingegen wurden Feuchtwangers eigene Arbeiten aufgrund ihres politischen Untertons - heute sind sie darüber in Vergessenheit geraten: 'Warren Hastings', 'Jud Süß' (das Drama, wohlgemerkt!), 'Die Kriegsgefangenen', 'Thomas Wendt' - wem sind diese Titel heute noch vertraut?

Nun wagt sich das Düsseldorfer Schauspielhaus an die Wiederbelebung des Bühnenautors Feuchtwanger. Regisseur Rafael Sanchez, Jahrgang 1975, bringt ausgerechnet 'Die Jüdin von Toledo' auf die Bühne - und damit einen Roman aus Feuchtwangers Spätwerk. 1954 erschien das hochmittelalterliche Ränkespiel aus den Tagen der spanischen Reconquista. Es wurde ein Leseerfolg, doch von den Kritikern und Werkanalysten nicht sonderlich beachtet. Die 'Jüdin von Toledo' war ein klassischer Feuchtwanger, vereinte all seine erzählerischen Stärken, die man bereits aus 'Jud Süß', 'Erfolg' und all seinen übrigen Romanen kannte. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Schön also, dass es ausgerechnet dieser Roman in Düsseldorf auf die Bühne geschafft hat! Aber was hat es zu bedeuten, was kann es dem Zuschauer mitteilen? Die tragische Liebesgeschichte zwischen Spanierkönig und Jüdin kann nur unterhalten. Das Bekriegen von Christen und Moslems kann Kopfschütteln hervorrufen, vielleicht auch gewisse Parallelen ziehen lassen.

Doch das allein würde eine Inszenierung der 'Jüdin von Toledo' noch nicht rechtfertigen. Das zentrale Motiv von Feuchtwangers Roman aber ist der scheiternde Versuch von ab- und ausgegrenzten Religionsgruppen, miteinander auszukommen. Die geistigen Hürden sind nicht zu nehmen. Zuletzt sitzt der König über den selbst verursachten Scherbenhaufen und erkennt: Er, der lenken konnte, hat aus Engstirnigkeit versagt. Und hier liegt die Aktualität Feuchtwangers:
Gehören die Muslime zur deutschen Gegenwart? Wer ist besser integriert? Was ist deutsch, was fremd, was verbindend, trennend? Wie definiert sich der Zusammenhalt unserer Gesellschaft?

Sanchez' Feuchtwanger-Inszenierung gibt hierauf keine Antworten, wohl aber einige turbulente Impressionen. Was daraus gewonnen wird, ist die Leistung des Zuschauers - wie immer beim Theater (wenn es gut ist).

Mehr Informationen: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

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