Kultur

Wer hat Recht?

von Vera Rosigkeit · 2. April 2008

Das in Bernhard Schlinks neuem Roman imszenierte Wochenende auf dem Land verläuft mehr als außergewöhnlich. Christiane, die ihren Bruder Jörg aus dem Gefängnis abholt, erklärt ihm auf der Fahrt ins idyllische Brandenburg, wen sie eingeladen hat: "Henner, Ilse, Ulrich mit neuer Frau und Tochter, Katrin mit Mann, natürlich Andreas. Mit dir, Margarete und mir sind wir zehn".

Alles kommt anders

Doch schon am ersten Abend sorgt Geschäftsmann Ulrich mit seinen provokanten Fragen für Unbehagen. Zunächst will er wissen, ob Jörg damals damit gerechnet habe, ins Gefängnis zu kommen? Dann fragt er: "Wie war das mit dem ersten Mord, Jörg? Hast du an ihm..." Doch bevor er seine dritte Frage beenden kann, unterbricht ihn seine Frau: "Hör auf, Ulrich, hör bitte auf!" Kurz darauf sorgt die Ankunft Marko Hahns, von Jörg eingeladen, für weiteren Aufruhr. Seine Parole, "Der Kampf geht weiter, und Jörg wird den Platz einnehmen, der ihm zusteht", ruft besonders bei Rechtsanwalt Andreas Empörung hervor: "Sie haben genug Unheil angerichtet", wirft er Marko vor.

Die Vergangenheit kehrt zurück

Auch der Ablauf der folgenden zwei Tage konfrontiert den Leser mit ungeahntem Konfliktpotenzial, dass in den Charakteren, ihrer Nähe und Distanz zur eigenen Vergangenheit angelegt ist. Die Spannung, die Erfolgsautor Bernhard Schlink durch dieses Aufeinanderprallen erzeugt, gleicht einer dramatischen Inszenierung. So wird Heiner am Samstag beschuldigt, Jörg an "die Bullen" verraten zu haben und der Leser erfährt, was Jörg nicht erfährt: Es war die Schwester Christiane, die ihren Bruder der Staatsmacht auslieferte.

Diese wiederum ertappt sich im Verlauf des Tages dabei, dass sie sich Jörg ins Gefängnis zurückwünscht. Ulrich nimmt seine Frage nach dem ersten Mord wieder auf, aber diesmal ist Jörg gewappnet: "Du weißt so gut wie ich, dass im Krieg nicht nur Soldaten sterben." Ob die Opfer ihm nicht leid täten, will Karin wissen. Niemand sollte sterben müssen, antwortet Jörg, doch die Welt sei leider anders.

Männliche Allmachtsphantasien und ärgerliche Vergleiche zwischen RAF und Nazideutschland

Die Zusammenkunft droht zu eskalieren, als unerwartet Jörgs Sohn auftaucht. Ferdinand identifiziert sich distanzlos mit den Opfern, übernimmt ihre Anklage und beschuldigt seinen Vater, nicht besser zu sein, wie die Nazis es waren. "Ihr habt euch über eure Elterngeneration aufgeregt, die Mörder-Generation, aber ihr seid genauso geworden," klagt er seinen Vater an und wiederholt damit den derzeit gerne bemühten Vergleich zwischen Nazideutschland und der RAF.

Tatsächlich, räumt Jörg ein, rechfertige ein Kampf, der nicht zum Erfolg führe, keine Opfer. Der Sohn hakt nach: Ob die Opfer gerechtfertigt wären, wenn der Kampf erfolgreich gewesen wäre? "Auch die schlechte, ungerechte Welt, in der wir leben, opfert Unschuldige," weicht Jörg der Frage in selbstgerechter Manier aus. Nicht weniger selbstgerecht hüllt sich der Sohn in Schweigen und bleibt unversöhnlich.

Weibliches Harmoniebedürfnis und wenig inhaltliche Auseinandersetzung


Schlinks "Wochenende" besticht in erster Linie durch eine spannende Dramaturgie. Leider offenbart der Roman aber eine Reihe von Schwächen. Viele Situationen wirken konstruiert und der Autor bedient sich einer Reihe Klischees. Während die männlichen Charaktere in sinnlosen Debatten auf Stammtischniveau ihre Allmachtsphantasien zur Schau stellen, werden die weiblichen Charaktere auf ihr traditionelles Rollenverhalten reduziert: Kaffee kochen, Streit schlichten und für Harmonie sorgen. Zum Schluss bleibt die Frage: "Wer hat Recht?". Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der für Deutschland wichtigen Epoche der 68er- Bewegung findet nicht statt.





Bernhard Schlink: Das Wochenende.
Diogenes, 240 S.
ISBN 3-257-06633-3
Euro 18.90 / sFr 33.90

Autor*in
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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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