Kultur

Weltenbrand im Eis

von ohne Autor · 5. April 2013

Eine vermeintlich unpolitische Expedition gerät auf dem Weg zum Nordpol in einen tödlichen Strudel aus Fanatismus und Kalkül: „An Enemy To Die For“ ist ein bedrückendes Kammerspiel über eine wahnwitzige Geheimoperation im Zweiten Weltkrieg vor atemberaubender Kulisse.

Wenn dieser Tage an die Errichtung der Nazi-Herrschaft vor 80 Jahren erinnert wird, geht es dabei auch immer um die Frage: Was hätten wir damals getan? Welche Optionen hätten sich uns im Alltag geboten? In verschiedenen Ausstellungen zur Lokalgeschichte kommen dabei immer wieder erstaunliche Biografien zutage: Plötzlich zeigt sich, dass etwa ein Parteigenosse heimlich Kleiderspenden für Zwangsarbeiter sammelte oder Feindsender hörte.

Mit der Frage, was in dieser Hinsicht gerade in Extremsituationen unter Hitler möglich war oder möglich gewesen wäre, beschäftigt sich der Thriller „An Enemy To Die For“ (Ein Feind, für den es zu sterben lohnt). Die Arbeit des schwedischen Drehbuchautors und Regisseurs Peter Dalle bemüht sich allerdings weniger um dokumentarisch-historische Tiefe. Vielmehr erzählt er vor allem auf der psychologischen Ebene, was passiert, wenn innerhalb einer isolierten Gruppe ein tödlicher Streit darüber entbrennt, sich für oder gegen ein scheinbar übermächtiges Regime zu entscheiden: und das in bester, subtil-drastischer Psychothriller-Manier skandinavischer Schule. Und nicht zuletzt vor der schlichtweg überirdischen Kulisse des Eismeers. Als wollte Dalle deutlich machen: Es gibt noch etwas Größeres als diesen ganzen Wahnsinn!

Jene Gruppe besteht aus Menschen, die sich mit dem Schein einer unpolitischen Wissenschaft umgeben oder damit eingelullt werden. Doch von Anbeginn ist klar, dass diese Illusion nur von kurzer Dauer sein wird. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schickt das NS-Regime eine Expedition mit deutschen und britischen Geologen sowie einem schwedischen Sprengstoffexperten in Richtung Nordpol. Die Crew stammt aus Norwegen, Polen und der Sowjetunion. Als stünden gerade jetzt die Zeichen auf Völkerverständigung!

Als alles zusammenhing

Entlang der Küsten sollen die Forscher nach Spuren suchen, die eine damals keinesfalls unumstrittene Theorie des deutschen Polarforschers Alfred Wegener beweisen sollen: dass sämtliche Kontinente einst zusammenhingen, bevor sie auseinanderdrifteten. Der Superkontinent Pangaea als gemeinsame Ur-Heimat aller Rassen und Völker: Noch so eine durchsichtige Fassade in Sachen Gemeinsamkeiten!

Damit ist es an Bord vorbei, als über Funk der deutsche Überfall auf Polen und wenig später die Kriegserklärung der Briten und Franzosen durchsickert. Zudem stellt sich heraus, dass das Ziel der Reise nun ein ganz anderes ist: Die Spezialisten sollen ein britisches Schlachtschiff versenken. Nicht gerade ein Vergnügen für einen neutralen Schweden! Von den Engländern nicht zu reden. Plötzlich schlagen die verbalen Scharmützel zwischen den Wissenschaftlern, die nun endgültig zu Feinden geworden sind, in nackte Gewalt um. Doch die Fronten unter ihnen verlaufen anders als gedacht. Auch die deutschen Passagiere geraten in die Fänge eines Fanatikers von unerwarteter Seite, der bis zum Äußersten geht, um den Geheimplan der Kriegsmarine umzusetzen.

Mag die Dramaturgie manchmal etwas holpern und verwirren: In Sachen Bildästhetik überzeugt dieser Film auf ganzer Linie. Der Dynamik der Wendungen im Weltgeschehen und innerhalb der Gruppe lässt Dalle in den verwinkelten Gängen des Schiffsbauchs freien Lauf. Diese Enge steht im ständigen Kontrast zu vorbeiziehenden Eisbergen und Gebirgsformationen. Durch den stetigen Perspektivwechsel gewinnt das bedrohliche Kammerspiel auch dann an Fahrt, wenn sich die Logik der nächsten Eskalationsstufe nicht umgehend erschließt.

Fatalismus und Leidenschaft

Auch die Darsteller verleihen der Geschichte jene Tonalität, um daraus unterm Strich eine runde Sache zu machen. Jeanette Hain ist einer der Entdeckungen der letzten Jahre für zwielichtige Persönlichkeiten. In diesem Film spielt sie Leni Röhm, die Assistentin des deutschen Expeditionsleiters. Selten hat man in recht konventionell strukturierten Thrillern, wie auch dieser einer ist, eine Hauptfigur erlebt, die im Sauseschritt  zwischen Fatalismus, Überlebenswille, Leidenschaft und Berechnung schwankt, ohne dass eine der Nuancen an Tiefe verliert.

Axel Prahl als ihr Chef Friedrich Mann beweist wiederum jenes Talent für tragische Charaktere, das durch seine omnipräsenten Auftritte als nörgelnder „Tatort“-Kommissar fast schon in Vergessenheit geraten war: Ab dem Punkt, als Winter auf Weisung aus Berlin zähneknirschend das Kommando auf dem Schiff übernimmt, berührt dessen innerliches Ringen zwischen Opportunismus, gesundem Menschenverstand und Hilflosigkeit zutiefst.

Derlei Glanzstücke können indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Dialogen häufig gerade dann, wenn es brenzlig wird, an Substanz fehlt. Dieser Minuspunkt findet seine wohl unfreiwillige Entsprechung darin, dass Hain alias Röhm gerade während dieser Szenen stoisch in sich hineinnuschelt. Aber auch das machen die weißen Riesen hinter dem Bullauge wieder wett.

Info:An Enemy To Die For (SWE/D/NOR/POL 2012), Buch und Regie: Peter Dalle, mit Richard Ulfsäter, Jeanette Hain, Axel Prahl, Tom Burke u.a., 106 Minuten, deutsche Fassung und OmU.

Ab sofort im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare