Kultur

Wasser des Lebens – Samen des Todes

von Dorle Gelbhaar · 31. Juli 2009
placeholder

Von seinen Werken hat dtv jetzt zwei Bücher neu herausgebracht, die das Schaffen Levis darstellen sollen. Eines von ihnen gleicht in seinem Inhaltsverzeichnis dem eines Chemie-Lehrbuchs, denn es nennt eins nach dem anderen 19 Elemente, beginnen mit Argon und endend mit Kohlenstoff.

Die Schul-Assoziation ist nicht völlig verkehrt, auch wenn es sich hier keinesfalls um ein Lehrbuch handelt, sondern vielmehr um schöngeistige Literatur, um autobiographisch unterlegte zudem. Die genannten Elemente korrespondieren mit Lebensabschnitten und mit Verwandten des Autors, denen Eigenschaften zugeschrieben werden, die denen verschiedener chemischer Elemente entsprechen.

Der Chemiker

Sein Chemie-Studium hatte der Turiner Levi trotz der durch das Mussolini-Regime erlassenen Restriktionen mit Promotion abgeschlossen. Dank seiner besonderen Begabung, fand er anschließend Arbeit in einem Bergwerkslabor, mit der er seine Familie finanziell unterstützen konnte. Hier musste er aber über seine jüdische Identität Stillschweigen bewahren und den Kontakte zu anderen meiden. In dieser Isolation wurden die Mineralien für Levi in mehrfacher Hinsicht lebenserhaltend. Das trifft auch für die Zeit im KZ zu, in der er ebenfalls als Chemiker Zwangsarbeit leistete. Sein Talent rettete ihm das Leben.

Dem promovierten 24-Jährigen, der von Kindheit an gleichermaßen literarisch bewandert und naturwissenschaftlich interessiert gewesen war, half im KZ außerdem das Erinnern an große Literatur - wie Dantes "Göttlicher Komödie" - zu überleben. Nach dem Krieg legte er Zeugnis ab mit seinem Schreiben und versuchte, dem Grauen beizukommen, das ihn nicht mehr losließ. Das Tote und das Lebende. Was ist wirklich tot? Was bedeutet es, zu leben? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Die Fragen hatte nicht er sich, sie hatten sich ihn gesucht.

Die Chemie des Lebens

Nach einem Sinn zu suchen und keinen zu finden, das hat er in seinen Texten hernach oft thematisiert. In "Das periodische System" sind es die chemischen Elemente, die Stabilität suggerieren. Levi schreibt von ihren Eigenschaften und diese führen ihn zu Autobiographischem, zu den Eigenheiten seiner Familie und damit zu dem eigenen Gewordensein und Sein.

1975 erschienen und 2006 vom Londoner Imperial College per Publikumsentscheid zum "besten populären Wissenschaftsbuch aller Zeiten" erklärt, wird hier ein Zugang zur Welt der Elemente geboten, der nicht nur von bestechender Originalität, sondern vor allem lebendig ist. Es erschließt sich emotional, was für gewöhnlich als trockenes, wohl geordnetes Wissen daherkommt. Der Sinn liegt im bloßen Sein und der Berechtigung des Seienden in Leben und Tod. Was selbstverständlich anmutet, ist es nicht. Dasselbe hat der Autor erfahren müssen, der sich dem antifaschistischen Widerstand anschloss und nach der Gefangennahme im KZ sein Menschsein mühevoll bewahrte.

Die Chemie der Schönheit

Levi erfuhr auch, wie willkürlich und beeinflussbar Menschen in Urteil und Verhalten sein können. Davon erzählen die Geschichten im Erzählband "Das Maß der Schönheit". Die Dumm- und Dumpfheit des Eitlen, die Verplanung und Nivellierung des Individuellen, der Versuch, dem letzten Refugium der Freiheit, der Sehnsucht nach selbstbestimmtem Leben und Sterben mit dem Einsatz chemischer Drogen beizukommen, die Todessehnsucht in Lust am Leben wandeln sollen - all das wird hier beschrieben.

Vergangene und gegenwärtige Welten gehen merkwürdige Mealliancen ein in diesem Buch. Was bleibt von der Schönheit, wenn sie zur Farce wird, wenn per Apparat die eigenen Maße zum Standard der Schönheit erhoben werden können? Überall waltet hier die Manipulation.

Aber da sind auch diejenigen, die sich dem entziehen, die sorgsam miteinander umgehen, im Entscheid für das Leben oder für das Sterben. Nur reduziert sich in der betreffenden Geschichte deren Zahl, weil immer mehr von dem beschriebenen kleinen Volk meinen, der Schmerz des Lebens überträfe die Lust daran. Hoffen und Verzweifeln.Immerhin in der Geschichte um die Droge, die Lust am Leben hervorrufen soll, verweigern sich die vom Aussterben Bedrohten jedweder Beeinflussung ihrer freien Entscheidung durch Chemie.

1987 starb Primo Levi infolge eines Sturzes in den Treppenschacht des Hauses, in dem er wohnte. Es soll sich dabei um Selbstmord gehandelt haben.

Dorle Gelbhaar


Primo Levi "Das periodische System", dtv Deutscher Taschenbuch Verlag München 2009, 265 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3-423-11334-2
Hier bestellen...

Primo Levi "Das Maß der Schönheit", dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2009, 148 Seiten, 8,90 Euro, ISBN 978-3-423-13786-7
Hier bestellen...

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare