„Wackersdorf“: Die Geburt des Protestes in der Provinz
ERIK MOSONI PHOTOGRAPHY
Längst sind die jahrelangen Demonstrationen gegen den seinerzeit von der bayerischen Staatsregierung beschlossenen Bau einer Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für abgebrannte Kernbrennstäbe aus deutschen Atomkraftwerken Teil des kollektiven Gedächtnisses. Die WAA wurde nie fertig, doch der Protest von Menschen verschiedenster Provenienz und der mit äußerster Härte geführte Polizeieinsatz gelten als Wendepunkt, nicht nur in Bayern.
Merkwürdig nur, dass diese Dauer-Eskalation mit zwei Todesopfern und unzähligen Verletzten bislang keinen Spielfilm abgeworfen hat. Dabei bietet sie reichlich Stoff für großes Kino: Zum Beispiel, wie eine scheinbar glückliche Fügung – also die Ankündigung eines industriellen Großprojekts mit 3000 Jobs – einer von Arbeitslosigkeit zermürbten Region in einen Rausch neuer Hoffnung eintauchen lässt und einen erbitterten Konflikt heraufbeschwört.
Finstere Intrigen
Denn der Kater lässt nicht lange auf sich warten. Als sich die Risiken der „Atomfabrik“ herumgesprochen haben, macht sich Verunsicherung breit, auch unter Lokalpolitikern. Manche unterstützen die WAA auch weiterhin, andere schließen sich dem aufkeimenden Protest von Umweltschützern an. Langlebige Gräben werden aufgerissen. Und da wären finstere Machenschaften, mit denen die Regierung von Franz Josef Strauß im Schulterschluss mit der Atomwirtschaft gegen die WAA-Gegner in der von einem SPD-Landrat geführten Kreisverwaltung vorgeht. Insofern geht es also auch um „Rot“ gegen „Schwarz“. Und um den rücksichtslosen Umgang Münchner Eliten mit der „depperten“ Provinz.
All das schwingt in „Wackersdorf“ mit. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der von vielen Oberpfälzern bis heute als Held gefeiert wird, der von damals allerdings vielerlei Verletzungen davon getragen hat. Es ist der frühere Schwandorfer Landrat Hans Schuierer. Im Film begleiten wir den von dem österreichischen Fernsehstar Johannes Zeiler verkörperten Sozialdemokraten dabei, wie die Verhältnisse mit ihm Schlitten fahren.
Die Handlung setzt ein, als er – offensichtlich nicht zum ersten Mal – in einer Kneipe zu einer Rede ansetzt, um den versammelten Männern Mut zu machen. Mut, zu bleiben, anstatt zu gehen, wie so viele andere. Wenig später steckt ihm der bayerische CSU-Umweltminister, dass eine „blitzsaubere Sache“ den nach dem Ende der Braunkohle zum Armenhaus gewordenen Landstrich vorwärts bringen soll. Schuierer ist wie in Trance und lässt sich von den freundschaftlichen Avancen eines Atommanagers bezirzen. Schließlich dürfte die WAA auch seine politische Zukunft sichern.
Plutonium für Diktatoren
Doch Zug um Zug schwant dem Landrat die Gefahr einer nuklearen Verseuchung. Und was ist dran an den Gerüchten, Strauß und seine Amigos wollen von Wackersdorf aus ihre weltweiten Diktatoren-Kumpane mit waffenfähigem Plutonium beliefern? Schuierer wacht auf und wird zum skeptischen Akteur. Als die Polizei widerrechtlich einen Beobachtungsturm der Umweltschützer abreißt, steht für den „Roten“ endgültig fest: Um das Recht zu verteidigen, muss er alles tun, um die WAA zu stoppen. Nichts geht ohne seine Unterschrift. Was er nicht ahnt: Mit der – übrigens bis heute gültigen – „Lex Schuierer“ nimmt München den Landrat aus dem Spiel. Es kostet den sich „bürgerlich“ gebenden Sturkopf einige Überwindung, auf anderem Wege den Showdown mit Strauß zu suchen: Er schließt sich dem Protest der „Körndlfresser“ an, die ihm nur wenig zugetan sind.
Regisseur Oliver Hafner stand vor dem schwierigen Spagat, einerseits das Engagement Schuierers und der vielen anderen WAA-Gegner als Verdienst um die Demokratie zu würdigen, zumal in den heutigen Zeiten zunehmender rechter Hetze gegen „das System“, ihnen anderseits aber kein Denkmal zu setzen, sondern einen eigenen, auch fiktional unterfütterten Zugang zum Thema zu finden. Das ist über weite Strecken gelungen, wenngleich der mit vielen überraschenden Wendungen verbundene Weg Schuierers bis zu jenem Erweckungserlebnis interessanter ausfällt als die vergleichsweise glatten Szenen, die ihn als unerschütterlichen Verteidiger des Rechtsstaates zeigen. Zumal unerwähnt bleibt, dass diese kompromisslose Haltung weniger mit Oberpfälzer Sturheit, als mit der politischen Verfolgung des Vaters des „echten“ Landrats während der Nazi-Zeit zu tun hat. Am Ende setzt sich die „richtige“ Haltung durch: Auch so lässt sich dieser mit stimmigem Lokalkolorit versehene Heimatfilm verstehen.
Info: „Wackersdorf“ (D 2018), Regie: Oliver Hafner; mit Johannes Zeiler, Peter Jordan, Anna Maria Sturm, Fabian Hinrichs u.a., 123 Minuten. Jetzt im Kino