Kultur

Von Terror und Unfreiheit

von Birgit Güll · 15. Februar 2012

"Die Vierte Macht" ist ein Film über Terrorismus. Er erzählt davon, wie Anschläge Gesellschaften verändern. Am Montagabend war die Vorpremiere im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen. Ab 1. März läuft der Film im Kino.

Es beginnt wie ein wenig subtiler Fingerzeig auf die Verhältnisse in Russland. Doch Dennis Gansels („Die Welle“) neue Regiearbeit ist ein politischer Film, der aufzeigt, wie hauchdünn der liberale Anstrich westlicher Gesellschaften ist: Das Leben von Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) läuft nicht optimal. Seine Frau ist ausgezogen, die gemeinsame Tochter hat sie mitgenommen.

Der Berliner Journalist flieht vor seiner Midlifecrisis Richtung Moskau. Hier soll er einem Boulevardmagazin neuen Glanz verleihen. Den Job verdankt er, der kein Wort russisch spricht, Alexej Onjegin (Rade Serbedzija), einem Freund seines Vaters. Der Vater hatte als politischer Journalist und überzeugter Sozialist in Moskau gelebt. Die Familie verließ er, als Paul noch ein Teenager war. So weiß Paul wenig über das Leben seines Vaters, der bei einem Autounfall starb.

Zwischen Partyszene und politischer Opposition

Paul Jensen zieht als Partyberichterstatter durch die noblen Nachtclubs Moskaus. Er schreibt vom Leben der Reichen und Schönen, genießt seinen Erfolg bei Frauen und krempelt nebenbei noch das Magazin um. Die Handlung gewinnt an Schwung, als ein Journalist vor den Augen des Partyreporters erschossen wird.

Um Paul zu aktivieren braucht es, wie so oft im Film, eine schöne Frau: Die Journalistin Katja (Kasia Smutniak) führt ihn nicht nur in die politische Szene der Oppositionellen ein, sie bringt ihn auch dazu, einen Nachruf auf den Toten zu veröffentlichen. Froh, der Geliebten einen Gefallen getan zu haben, merkt der naive Neo-Moskauer bald, dass er es sich mit den falschen Leuten verscherzt hat.

Terroranschläge als Rechtfertigung von Repression

Paul Jensen landet im Knast. In einer mit gut 50 Mann völlig überfüllten Zelle, die ihre Insassen „Klein-tschetschenien“ nennen. Er stellt – trotz fehlender Sprachkenntnisse – bald fest, dass einige seiner Zellen-Genossen weder unschuldig noch reuig sind. Sie würden für die Autonomie Tschetscheniens jederzeit wieder zu terroristischen Mitteln greifen.

Noch überraschter ist Paul, dass sein Vater den Männern in der Zelle bekannt ist. Sein Name sichert ihm Schutz und einen der heiß umkämpften Schlafplätze. Als es Onjegin gelingt, Paul aus dem Gefängnis zu befreien, macht sich der Journalist daran herauszufinden was sein Vater wusste: Der russische Geheimdienst, nicht die beschuldigten tschetschenischen Attentäter, war verantwortlich für die Sprengstoffanschläge auf russische Wohnhäuser Ende der 90er Jahre.

Diese Anschläge, die Russland 1999 erschütterten, sind die reale Basis des fiktiven Films. Tatsächlich werden die offiziellen russischen Untersuchungen und ihr Ergebnis, dass die Täter Tschetschenen waren, immer noch bezweifelt. Mit der vermeintlichen Terrorgefahr wurden Repression und verschärfte Anti-Terror-Gesetze gerechtfertigt.

Was, wenn in Berlin die erste Bombe hochgeht?

Der Filmheld Paul Jensen will, dass Onjegin die Enthüllungen in seinem Magazin veröffentlicht. Der Freund des Vaters weigert sich. Als Paul nicht begreifen will, macht er ihm deutlich, unter welchen Bedingungen Journalismus in Russland funktioniert. Er macht aber noch viel mehr deutlich: Was meinst Du, was passiert, wenn in Berlin die erste Bombe hochgeht? Wie würde die Gesellschaft, die sich zu den offenen zählt, reagieren?

Dennis Gansels Film weist über Russland hinaus. – So sind auch stets die Bilder des einstürzenden New Yorker World Trade Centers zu sehen, wenn von Terrorismus die rede ist. Die brennenden Twin Towers haben sich längst in das kollektive Gedächtnis westlicher Gesellschaften eingeschrieben, als Symbol für Terrorismus.

Dem Filmhelden Paul gelingt es letztlich, seinen Text zu veröffentlichen. Er erscheint, als er bereits sicher in Berlin gelandet ist. Während Onjegin mit dem Leben bezahlt, hat Paul der russischen Öffentlichkeit ein Stück Wahrheit gebracht. Zugleich hat er die Aussöhnung mit seinem toten Vater erreicht.

Eine offene Gesellschaft?

Das klassische Vater-Sohn-Drama, die Liebesgeschichte als Motor der Handlung, die übertriebenen Actionszenen: Das sind die Schwächen des neuen Films von Dennis Gansel. Seine Stärke ist es, im Jahr der anstehenden Wiederwahl von Wladimir Putin die repressive russische Politik zu thematisieren. Zugleich, und das ist das große Verdienst des Films, sagt er etwas über die freien westlichen Gesellschaften. Was, wenn eine Bombe in Berlin hochgeht? Würde Deutschland reagieren wie Norwegen? Würde man Offenheit und Toleranz betonen, wie Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg es nach den Anschlägen Anders Breiviks tat? Wenn man bedenkt, dass als Folge der Terroranschläge vom 9. September 2001 in New York deutsche Anti-Terror-Gesetze in Kraft traten, bleibt das fraglich. Sie sind, wie der USA Patriot Act, kein Kennzeichen einer freien, offenen Gesellschaft. Der sehenswerte Film regt zum Nachdenken darüber an. Ab 1. März 2012 in den deutschen Kinos.

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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