Überschwemmt von den Produkten globaler Handelsriesen und zugedröhnt vom gesellschaftspolitischen Mainstream, droht Der Mensch des Westens in der von ihm geschaffenen Monotonie zu ersaufen. Einen Ausweg aus dem Dilemma präsentiert der Filmemacher Paul Poet in „Empire Me“.
Und dieser lautet Wenn dir deine Welt nicht passt, bau' dir deine eigene! So lautet die Moral, der sich Poet in seinem, wie es in einer Ankündigung der Produktionsfirma heißt, „kreativen Abenteuer- und Dokumentarfilm“ widmet. Doch wie könnte diese„eigene Welt“ aussehen? Welcher Utopie sollte sie folgen? Sind solche Fragen überhaupt legitim, wenn die Bedeutung eines Gegenentwurfes an sich im Raum steht? Poet umschifft jegliche Festlegung, indem er sechs grundverschiedene Projekte porträtiert. Allesamt folgen sie dem Motto „Die Utopie, das bist du, das bin ich“. Eröffnet wird der Reigen mit dem Fürstentum Sealand. Zehn Kilometer vor der englischen Ostküste residiert der einstige Radiopirat Paddy Roy Bates in einer übersichtlichen Seefestung aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Proklamation seines Staates am 2. September 1967 ignoriert die Weltgemeinschaft bis heute. Umso knurriger setzt er seinen Kampf um die völkerrechtliche Anerkennung seines wellenumtosten Territoriums fort.
Herr von 23 Untertanen
Ähnlich ergeht es der „Principality of Hutt River“ im Westen Australiens. Um gegen die staatliche Abgabepolitik für Weizen zu protestieren, sagte sich der Farmer Leonard George Casley vor 42 Jahren von Canberra los. Heute gebietet der in Wahlen bestätigte „Fürst“ über 75 Quadratkilometer und 23 ständige Bewohner. Durch Kreativität und Gemeinschaft eine neue und bessere Lebensweise zu erschaffen, das ist die Klammer zwischen der Freistadt Christiania und den „Swimming Cities Of Serenissima“. Seit Jahrzehnten steht Christiania für die bewusstseinserweiternde Einheit von Kunst und Leben mitten in Kopenhagen – und kämpft zugleich gegen die Unterwanderung durch Tourismus und Drogenhandel. „Serenissima“ wiederum will ein Zeichen für eine humanere Welt, also auch gegen den Klimawandel setzen. Dafür wagen sich die Aktivisten auf selbst gebauten Booten aus recyceltem Metall, Plastik und Holz über die Weltmeere: Wenn Poet die Armada aus Gerätschaften zwischen Abenteuerspielplatz und Kunstinstallation über Venedigs Canale Grande schippern lässt, erschafft er Bilder, die bleiben.
Mehr als eine Sex-Gemeinschaft
Eher von der Welt abgewandt, wenn auch – mal weniger und mal mehr – krude an das Gute im Menschen appellierend, wirken die Szenen im „Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung“ (ZEGG) und in Damanhur, dem selbst ernannten „Tempel der Menschheit“. Seit Jahren kämpft das Zegg gegen sein, wie in einer Selbstauskunft verlautet, einseitiges Image als Sex-Kommune. Dessen ungeachtet legt Poet den Fokus sprichwörtlich auf den Aspekt der „befreiten Liebe“. Effekthascherei hin oder her: Immerhin gelingt ihm eine sensible und ästhetisch ansprechende Erzählung von reflektierten Menschen, die im brandenburgischen Bad Belzig nach emotionaler Erfüllung suchen. Gleichermaßen grotesk und beängstigend sind hingegen die schlaglichtartigen Eindrücke von Damanhur: In einer optimalen Entsprechung von Bild und Wort offenbart sich ein klebriges Sammelsurium aus mantraartigen Kontemplationsübungen und nachhaltiger Baumhaus-Kultur.
Gerade die entrückt lächelnden Menschen, die in das „esoterische Disneyland“, so ein Augenzeuge, pilgern, lassen einen gruseln. Der kalkulierte Irrsinn, der hinter dem „kollektiven Traum“ in den abgelegenen Voralpen Piemonts steckt, bedarf keines weiteren Kommentars. Wann stiften Utopien Hoffnung, welche Gefahren stecken in ihnen? Inwiefern sind sie nichts als Größenwahn oder Freaktum? Wie viel Individualität erlauben alternative Kollektive? Die zweite Frage scheint sich in den Statements der Sezessionisten aus Großbritannien und Australien von selbst zu beantworten. Doch insgesamt kümmert sich Poet wenig um derlei Differenzierungen. Stattdessen serviert er zwischendurch Kommentar-Schnippsel aus dem Off, die in apokalyptischem Tonfall das Ende aller übergeordneten Systeme prophezeien und die Selbstbesinnung des Inividuums einfordern („Der Staat bin ich“).
Schräge Handschrift
Ist damit die Grenze zur Farce überschritten? Oder treibt der 40-Jährige einen eigenwilligen essayistischen Stil auf die Spitze? Einen Vorgeschmack dafür lieferte der Regisseur und Autor in seiner Dokumentation über eine Protest-Performance Christoph Schlingensiefs während der Wiener Festwochen im Jahr 2000 („Ausländer raus! Schlingensiefs Container“). Lässt eine stimmige, also gleichsam sinnliche und um Aufklärung bemühte Erzählweise, die vor allem die Passagen über das ZEGG und die „Swimming Cities“ auszeichnet, auf etwaige Sympathien Poets für eines dieser Lebenskonzepte schließen? Wenn Intentionen plausibel und anschaulich transportiert – wenn schon nicht kritisch hinterfragt – werden, bietet „Empire Me“ jedenfalls den meisten Erkenntnisgewinn. Angesichts der achtjährigen Recherche hätte man sich davon allerdings etwas mehr gewünscht.
Info: Empire Me (BR Deutschland, Österreich, Luxemburg 2010), Buch und Regie: Paul Poet, 99 Minuten. www.gebrueder-beetz.de
Kinostart: 19. Januar