Kultur

Vom Ruhrstatut bis zur Ukraine

von Matthias Dohmen · 19. Februar 2014

„Mein Europa“ heißt ein Sammelband, in dem Reden, Artikel und Vorträge von Helmut Schmidt abgedruckt sind. Herausgeber und „Zeit“-Autor Matthias Naß hat die Beiträge aus den Jahren 1948 bis 2013 ausgewählt und in alten Texten viel Zeitgemäßes gefunden.

Naß’ Sammelband erscheint bereits in zweiter Auflage. Gewissermaßen als Bonus enthält er ein längeres, von ihm moderiertes Gespräch des Altbundeskanzlers mit dem grünen Ex-Außenminister Joschka Fischer.

Frühes Bekenntnis zu Europa

Im Parteiblatt der Hamburger Sozialdemokraten veröffentlichte der junge Helmut Schmidt, damals Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), 1948/49 zwei Beiträge zum Ruhrstatut, die hier unter der Überschrift „Ja zum Ruhrstatut: Ein frühes Bekenntnis zu Europa“ nach langer Zeit wieder veröffentlicht werden.

Scheu davor, in Fettnäpfchen zu treten, besaß Schmidt nicht. Sein beherztes Ja zum Schumann-Plan für eine gemeinsame französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion löste beim Vorstand in Hannover Entsetzen aus: Der Kurt-Schumacher-Intimus Fritz Heine rüffelte den Jungspund, der jedoch in seinem Hamburger Landesverband Rückhalt fand.

Einbindung in die Gemeinschaft nach NS-Diktatur

Helmut Schmidt, so schreibt der Herausgeber, habe „früh begriffen, dass Deutschland nach den Verbrechen der NS-Diktatur nur durch eine Einbindung in die europäische Gemeinschaft das Vertrauen der Nachbarn zurückgewinnen konnte“. Seine prinzipielle Zustimmung zur Integration, die nach dem Krieg parteiübergreifend gefordert wurde, hinderte und hindert Schmidt nicht, dort, wo es ihm nötig erscheint, mahnende Bemerkungen zu machen.

Etwa zum Thema Ukraine: „Der älteste russische Staat war die Kiewer Rus, das heißt, Russland ist in der Ukraine begründet worden als Staat; seither hat die Ukraine zu Russland gehört, und da gehört sie auch im 21. Jahrhundert hin.“ Und: „Jeder Versuch, dem Putin auch noch die Ukraine wegzunehmen, ist Größenwahn.“ Das sagt Schmidt in dem 2013 geführten Gespräch, das in dem Band erstmals gedruckt wird.

Europäische Union in Gefahr

Sehr kritisch steht er dem aktuellen Zustand der europäischen Integration gegenüber: „Die Tatsache, dass wir nicht einmal einen erstklassigen Mann an der Spitze der Europäischen Kommission in Brüssel haben, spricht Bände. Wir haben Europa einfach schlecht organisiert. Die Folge ist, dass die Vereinheitlichung von Packungen den meisten Politikern dringlicher erscheint als die Frage, wie wir mit den Folgen der demographischen Entwicklung fertigwerden.“

Auch zu Griechenland finden sich – aktuell beachtenswerte – Bemerkungen (Beitrag von 2012), ferner zum „neuen Tandem“ Paris-Bonn, zur Rolle Großbritanniens (beide 1974) oder zur Lebensleistung des Franzosen Jena Monnet (1978). In einem der Texte sagt Schmidt: „Es steht in keiner Bibel geschrieben, dass die Europäische Union in ihrer heutigen Gestalt das Ende des 21. Jahrhunderts erlebt. Die Regierungschefs sind sich über den Ernst der Lage überhaupt nicht im klaren.“

Helmut Schmidt, Mein Europa. Reden und Aufsätze. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, 367 Seiten, 22,99 Euro. ISBN 978-3-455-50315-9


Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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