Die Erzählungen des Bands folgen fast alle einem ähnlichen Schema: Ein Mann in den besten Jahren gerät in eine Extremsituation, in der plötzlich alles auf dem Spiel steht. Eigentlich ist
klar, was getan werden müsste, um Leib und Leben in Sicherheit zu bringen. Doch er läuft sehenden Auges und unbeirrbar seinem Untergang entgegen. Dabei verliert er allmählich die Sympathie des
Lesers und führt eine weitere Variation männlichen Scheiterns vor. Nur eine der vierzehn Erzählungen, in der sich eine junge Witwe Anfang des 18. Jahrhunderts zu Pferd auf eine ungewöhnliche Reise
begibt, sticht aus dieser ansonsten homogenen Erzählwelt heraus.
Keine Einschlaflektüre
Trotz ihrer Kürze sind diese Geschichten nicht als Einschlaflektüre geeignet, da der Kampf der jeweiligen Hauptperson gegen sich selbst, gegen einen schweren Schicksalsschlag oder gegen die
Gewalten der Natur schonungslos realistisch dargestellt ist. Dabei ist es erstaunlich, mit welch morbider Phantasie der Autor den Leser mit in das Schlamassel seiner Figuren hineinzieht und dort
anschließend nachdenklich zurücklässt: Da wird eine Frau zu Forschungszwecken so sehr Teil eines Hunderudels, dass sie schließlich ihr menschliches Leben aufgibt. Ein Radioreporter experimentiert
öffentlich mit Schlafentzug. Ein ahnungsloser Barbesucher gewinnt beim Würfelspiel eine Wildkatze.
T.C. Boyle setzt sich mit den Problemen seiner Zeit auseinander: Er kritisiert erniedrigende Aufnahmerituale in Burschenschaften, Drogenmissbrauch und den Raubbau an der Natur. Diese jedoch
behält immer das letzte Wort und mischt sich grausam in den Verlauf der Geschichten ein, in Form von extremem Wind, plötzlichem Schneefall, gleißender Sonne, einem Kometen oder einem Hurrikan.
Viele der Geschichten setzen sich mit Verlust und Tod auseinander. Die Konfrontation mit so viel möglichem Unglück geschieht dennoch auf humorvolle Weise - sie erschreckt und fasziniert zugleich.
Die Übersetzungen aus dem Amerikanischen von Dirk van Gusteren bzw. Anette Grube sind an einigen wenigen Stellen etwas holprig, meistens jedoch sind sie gut lesbar.
"Zähne und Klauen" reiht sich nahtlos in das zynisch-heitere Werk des produktiven amerikanischen Autors ein und enttäuscht eingefleischte Boyle-Fans nicht.
Magda Wagner
T.C. Boyle: Zähne und Klauen, Hanser-Verlag 2008, ISBN: 978-3446209954, 19,90 Euro
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