Kultur

Verwirrspiel

von Die Redaktion · 20. Februar 2008

Mittlerweile gibt es unendlich viele Publikationen zu Einzelschicksalen und persönlichen Erfahrungen von Erwachsenen während des Zweiten Weltkrieges. Anders verhält es sich mit der so genannten Kriegskindergeneration: Denn erst jetzt, über 65 Jahre später, scheinen die Betroffenen selbst in der Lage zu sein, über ihre doch so oft traumatischen Erfahrungen Auskunft geben zu können. Krieg, Flucht und Vertreibung oder gar der Verlust der eigenen Familie haben nicht nur das Leben geprägt, sondern oftmals auch die Identität und das Schicksal bestimmend verändert.

Geraubte Kindheit

Wer bin ich und wo komme ich her? Was ist aus meinen Eltern geworden? Solche oder ähnliche Fragen stellt sich mancher Betroffener noch heute, da bisher noch nicht alle Fälle aufgeklärt werden konnten. Denn das Schicksal der verschleppten und zwangsadoptierten Kinder ist bislang nur vereinzelt beachtet worden.

In seinem neuen Buch nimmt sich Peter Hartl, Historiker und Redakteur des ZDF, dieses Themas an. Eindringlich beschreibt er sieben Einzelschicksale. Sein Buch basiert vorwiegend auf Interviews mit den Betroffenen und der Auswertung von Quellenmaterial. Entstanden ist eine anschauliche Dokumentation der verschiedenen Lebenswege, die eben auch charakteristisch für das Zeitalter der Extreme sind.

Einheit der Opfer

Interessant ist die Auswahl der Beispiele. Das Buch beschränkt sich nicht nur auf das Schicksal deutscher Kinder, sondern beschreibt auch, wie es polnischen und tschechischen Kindern ergangen ist. Schließlich sind alle diese Kinder einfach zu Opfern gemacht geworden, egal auf welcher Seite sie ursprünglich gestanden haben mögen.

Der Autor schildert zum Beispiel das Leben eines Jungen, der in einer deutsch-national gesinnten Familie aufwächst. Dieser Junge glaubt natürlich an die Überlegenheit der "Herrenrasse", bis er durch puren Zufall erfährt, dass er Pole ist. In einem anderen Fall entdeckt eine in Kaliningrad lebende Frau, dass sie eigentlich in Deutschland geboren und als Waise unmittelbar nach Kriegsende in die Sowjetunion verschleppt wurde.



So unterschiedlich diese Werdegänge auch verlaufen sind, haben sie doch eine Gemeinsamkeit - nämlich das schlimme Gefühl der wahren Heimat entfremdet worden zu sein und die schwierige Suche nach der eigenen Identität. Der Autor beschreibt die Lebensgeschichten aus der Perspektive der Betroffenen, gefühlvoll und mit Anteilnahme. Sie lesen sich spannend wie Kriminalfälle. Ein sehr wichtiges Buch, wenn es darum geht, ein noch relativ unbearbeitetes Kapitel der Nachkriegsgeschichte aufzuschlagen! Nicht zuletzt deshalb, weil es zeigt, wie wichtig das Wissen um die eigene Herkunft und Identität ist.



Edda Neumann



Peter Hartl: Belogen, betrogen und umerzogen, Kinderschicksale aus dem 20. Jahrhundert, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, 15 Euro, 220 Seiten, ISBN-13: 978-3423246187

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