Kultur

Verkleidung als Methode

von Die Redaktion · 27. August 2007

von Hamid Reza Yousefi

Während Wallraff für manche Kreise in der DDR ein westlicher Spion war, betrachtete man ihn in gewissen westdeutschen Zirkeln als eine schillernde Persönlichkeit und einen kommunistischen Handlanger. Diejenigen, die ihm eine Verstrickung in die Machenschaften der Stasi vorwerfen, sind Wallraff bis heute einen Beweis schuldig geblieben. Insofern ist das Werk Wallraffs nicht nur für Akademiker von Belang, sondern auch für die Gesellschaft, die realpolitische Diskurse verfolgt.

Wallraffs gesellschaftspolitische, soziale und vor allem interkulturell-humanistische Verantwortung nahm er mit streitbaren Methoden wahr und setzte sich für ein demokratischeres und gerechteres Gemeinwesen ein. Um die Umstände der Zeit zu demaskieren, setzte er sich "ständig neue Masken auf" (S. 16). Man müsse täuschen, um an die Wahrheit zu kommen, ist Wallraffs zentrales Motto in seinem Werk "Ganz unten". Damit will er sich im Spiegel des Anderen entlarven. Insofern hält Wallraff uns, wie sein Vorbild Till Eulenspiegel dies praktizierte, einen Spiegel vor.

Der Autorin Ina Braun, von Hause aus Germanistin, ist es gelungen, eine kritische Gesamtanalyse über Leben, Werk, Wirken und Methode Wallraffs vorzulegen. Diese erste umfassende Biographie entstand anläßlich des 65. Geburtstags Wallraffs.

Das Buch umfaßt zwei Kapitel. Im ersten Teil thematisiert die Biographin die Kindheit und Jugend Wallraffs im Rahmen der Ereignisse der jungen Bundesrepublik. Dabei erläutert sie, wie Wallraff den Aufstieg der sozial-marktwirtschaftlichen Demokratie Adenauers mit all seinen Inkonvenienzen erlebte. Zustände, welche demokratische Spielregeln verletzten oder an Wallraffs pazifistischer Gesinnung rührten, sollten seine späteren Reportagen auslösen.

Erste Veröffentlichung mit Heinrich Böll

Mit der gerade eingeführten Wehrpflicht und der Veröffentlichung seiner Erfahrungen als unfreiwillig einberufener Soldat machte sich Wallraff in der Öffentlichkeit erstmals einen Namen. Seine Erlebnisse als Kriegsdienstverweigerer, der die Gewehrläufe der Kameraden mit Blumen schmückte, veröffentlichte er mit Unterstützung seines Freundes Heinrich Böll.

Industriereportagen und Beiträge zu den Ereignissen im politisch-historischen Prozeß Deutschlands im Sinne einer "aufklärerischen Berichterstattung" (S. 23) ließen nicht lange auf sich warten. Über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus engagierte er sich 1974 in Griechenland durch sein Anketten als Friedensaktivist in Athen, ein Jahr später deckte er in Portugal, verkleidet als Waffenhändler, den geplanten Spinola-Putsch auf.

Um an politisch brisante Informationen heranzukommen, mußte Wallraff in Rollen schlüpfen. Die Komik der Verkleidung wie auch die Brisanz seiner Enthüllungen trug erheblich zu seiner legendären Bekanntheit bei. Eine spektakuläre Rolle war die des Journalisten "Hans Esser" bei der Bild-Zeitung 1977. Wallraff bezeichnet die Bild-Zeitung aufgrund seiner Recherchen als "Lügenblatt", das bei Bedarf eine diffamierende Berichterstattung betreibt. Bei Gericht bekam er bestätigt, er habe gewichtige "Fehlentwicklungen im deutschen Pressewesen" (S. 37) aufgedeckt.

"Ganz unten"

Die bekannteste Rolle Wallraffs war die des Türken "Ali" im Jahr 1986. Bei diesem Rollenspiel wurde Wallraff die menschenverachtende Macht der Konzerne bewußt. Insbesondere bei Thyssen mußte er erleben, wie die Würde der Gastarbeiter zum Spielball der Konzerne wird. Wallraff will mit seinem Buch ›Ganz unten‹ die "Borniertheit und Eiseskälte einer Gesellschaft" exemplarisch aufzeigen, "die sich für so gescheit, souverän, endgültig und gerecht" (S. 10) hält.

Wallraffs Einsatz hatte zur Folge, daß er sich zurückziehen mußte und seine Aktivitäten auf politisch-soziale Stellungnahmen beschränkte. Wie er bereits Wolf Biermann nach dessen Ausbürgerung aus der DDR aufgenommen hatte, bot er nun Salman Rushdie wegen des Todesurteils von Ayatollah Khomeini Unterschlupf. Ferner pflegte er eine Freundschaft mit dem türkischen Satiriker Aziz Nesin und er führte mit dem Chef der damals noch moderaten PKK Abdullah Öcalan Friedensgespräche.

Wallraff hat auch mit 65 Jahren nicht aufgehört, sich politisch zu engagieren. Er glaubt daran, daß man Journalisten brauche, die "wallraffen". Im Mai 2007 schlüpfte er erneut in eine Rolle: als "Telefondrücker‹ arbeitete er in Kölner Callcentern und trug die dortigen Verhältnisse an die Öffentlichkeit. Er kritisierte die betrügerischen Verkaufsmethoden der sogenannten "Outbound-Agenturen" ebenso wie die schlechten Arbeitsbedingungen der Callagenten. Damit zeigt er die moderne Form einer ›Raubtiermentalität‹ der Konzerne. Die "Zeit" hat über diese Aktion berichtet.

Besonders wichtig erscheint Wallraffs Methode und seine Art der Recherche, die mit seiner Medienkritik engverknüpft ist. Er distanziert sich von der Opportunität journalistischer Bequemlichkeit. Ihm geht es um die "Aufhellung von Themen", die aus unterschiedlichen Gründen der Berichterstattung entzogen sind"(S. 55).

Ein wichtiges Thema des Buches ist die Auseinandersetzung mit den Widersachern Wallraffs. Die Autorin weist in diesem Zusammenhang auf ein strukturelles Problem hin, wo die Bequemlichkeit über die Faktizität Oberhand gewinnt, die dazu führen muß, "die Ergebnisse der Recherchen Wallraffs zu diskreditieren" (S. 83).

Braun betrachtet Wallraffs Arbeitsmethode als ¢eine alternative Sichtweise zur offiziellen Medienberichterstattung bzw. Geschichtsschreibung, da er einen Paradigmenwechsel vollzieht, um Öffentlichkeit in häufig abgeschirmte Bereiche zu bringen¢ (S. 56).

Jede Generation braucht Wallraffer

Im zweiten Teil problematisiert Ina Braun die interkulturelle Relevanz der "Ali"-Rolle. Nach einem kurzen Aufriß über interkulturelle Besonderheiten der Gesprächsanalyse wird an einigen Berichten aus "Ganz unten" aufgezeigt, in welchem Maße die interkulturelle Kommunikation determiniert ist. Hier kommt der Reportage ›Die Umtaufe‹ großes Gewicht zu. Wallraff alias "Ali" nimmt sich in seinem Experiment vor, sich katholisch taufen zu lassen. Sein Gesuch wird von verschiedenen Priestern der kirchlichen Hierarchie vereitelt; mit offensichtlichen Haßtiraden gegen seinen "islamischen" Glauben wird er abgewiesen. Schließlich tauft ihn ein ausländischer Dorfpfarrer, der anscheinend ›Alis‹ Gesuch nachvollziehen kann.

Die Biographin analysiert die Islamophobie in Deutschland und thematisiert Machtasymmetrie und Ethnozentrismus, die für die Haltung der Priester ursächlich sind. Sie sieht "ethnozentrische Haltungen" meist "mit fremdenfeindlichen Diskursen verbunden" (S. 117), die jede Form von Dialog im Ansatz gefährden.

Die zeitgeschichtliche Darstellung wird ergänzt durch ein facettenreiches Interview der Biographin mit Wallraff. In einem "Fotoalbum von Günter Wallraff" zeichnet die Autorin die Entwicklungslinien des Enthüllungsautors mit Bildern aus Kindheit und Jugend, Ablichtungen mit Zeitgenossen sowie Dokumenten zu seinen Rollen nach. Der Band wird vervollständigt durch Verzeichnisse der Schriften, Filme, Hörspiele und Hörbücher Wallraffs sowie durch eine Sekundärbibliographie und ein Namensregister.

Ina Braun hat mit diesem interdisziplinär ausgerichteten Werk eine offene Einführung in Leben, Werk, Wirken und Methode Günter Wallraffs in einer leicht verständlichen Sprache verfaßt. Dies schließt ein Panorama der deutschen Nachkriegsgeschichte ein. Das Buch ist nicht nur für einen breiten Kreis von Lesern geschrieben, sondern durch sorgfältiges Quellenstudium und akkurate Werkanalyse auch von wissenschaftlichem Interesse.

Wir können mit Fug und Recht behaupten, daß die Situation der Gastarbeiter in der Bundesrepublik sich aufgrund von Wallraffs Recherchen und diversen anderen Faktoren erheblich verbessert hat, aber von der Tatsache auszugehen, es bedürfe keiner Aufklärung mehr, käme einem Traum gleich. Es ist eine Tatsache, daß jede Generation ihre "Wallraffer" braucht.

Der Autor ist Dr. der interkulturellen Philosophie an der Universität Koblenz



Ina Braun: Günter Wallraff. Leben - Werk - Wirken - Methode, 197 S., Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2007; ISBN 978-3-8260-3542-5, EUR 19,80

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