Kultur

Über den Irrsinn des Bürgerkriegs

von Vera Rosigkeit · 8. November 2008
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Der Alltag von drei Personen steht im Zentrum des Romans: Kenan, der Familienvater, der mit einem "Sammelsurium" von Plastikbehältern quer durch die Stadt in die Berge zu einer Brauerei geht, um Trinkwasser zu besorgen. Dabei setzt er sein Leben aufs Spiel. Dragan, der Becker, der jeden Tag zur Bäckerei geht, um dort zu arbeiten. Seine Frau und sein Sohn konnten die Stadt rechtzeitig verlassen, seine Wohnung ist zerstört. Und Strijela, die Scharfschützin. Sie erhält den Auftrag, den Cellisten von Sarajevo zu schützen, damit er 22 Tage lang am Ort des Geschehenes, dort wo 22 Menschen getötet wurden, als sie um Brot anstanden, sein Adagio spielen kann, ohne selbst getötet zu werden.

Kenan, Dragan und Strijela haben eines mit dem Cellisten gemeinsam: Im Wissen, das Überleben nicht alles ist, setzen sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Zeichen gegen den traurigen Irrsinn des Bürgerkriegs. So ist es beispielsweise Dragan, der irgendwann nicht mehr die Straße entlang rennen kann, um sich vor den Schüssen der Heckenschützen in Sicherheit zu bringen, denn er begreift, wenn er nicht rennt, lebt er wieder. "Vielleicht halten ihn die Leute für übergeschnappt, glauben, er wäre verrückt geworden und mache sich nichts mehr daraus, ob er am Leben bleibt oder nicht. Sie irren sich. Er macht sich mehr denn je daraus."

Steven Galloways "Cellist von Sarajewo" ist ein ergreifender und überwältigender Roman. Einfühlsam wird der Kampf ums Überleben jedes Einzelnen geschildert, was zugleich das Entsetzen über den rasanten Verlust jeglicher Zivilisation verdeutlicht. "Denn die Zivilisation ist keine Sache, die man aufbaut und dann für immer hat. Man muss ständig an ihr bauen, sie tagtäglich wiedererschaffen. Sie verschwindet weitaus schneller, als er es jemals für möglich gehalten hätte."

Steven Galloway: Der Cellist von Sarajevo
240 Seiten, ISBN: 978-3-630-87279-7, Euro 19,95
Verlag: Luchterhand

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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