Kultur

Symphonie in der Kneipe

von Birgit Güll · 3. Mai 2012

Gerade in schwierigen Zeiten wird Kultur ein immer wichtigerer Teil unserer Gesellschaft, sagt Steven Sloane, Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker. Der US-Amerikaner hat die Bochumer Symphoniker berühmt gemacht. Öffentliche Kulturförderung hält er für unersetzlich.Im Interview erklärt er wie "Kultur für alle" Wirklichkeit werden kann.

vorwärts: Wenn Sie einen Wunsch an deutsche Kulturpolitiker frei hätten: Welcher wäre das?

Steven Sloane: Das ist eine einfache Antwort: weiter und mehr unterstützen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten – finanziell, politisch und was unsere Umwelt betrifft – wird Kultur ein immer wichtigerer Teil unserer Gesellschaft. Deshalb kann man nur dafür plädieren mehr zu fördern.

Sie sind seit 1994 Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker und haben sich viele Jahre um eine eigene Spielstätte für das Orchester bemüht. 2010 hat die rot-grüne Landesregierung zugestimmt. In Bochum soll nun ein Musikzentrum gebaut werden. Warum hat das so lange gedauert?

In Dortmund und in Essen gibt es Konzerthäuser. Viele haben nicht verstanden, warum es in unmittelbarer Nähe ein drittes Haus braucht. Doch Dortmund und Essen sind in erster Linie Konzerthäuser für Veranstaltungen, für Gastorchester und Tourneeproduktionen. Die Orchester dort sind Opernorchester, die nur gelegentlich auch Konzerte spielen. Wir in Bochum sind dagegen ein reines Symphonieorchester. Wir proben unter grauenvollen akustischen Bedingungen und können unsere Konzerte nicht professionell anbieten, weil wir keinen geeigneten Proben- und Konzertsaal haben.

Diese Argumente haben für den Bau einer Spielstätte aber nicht ausgereicht.

Lange Zeit ging es nur um einen Konzertsaal für die Arbeit unseres Orchesters. Getrennt davon gab es das Projekt Marienkirche, bei dem ein Kammermusiksaal eingeplant war. Mit der Finanzkrise kamen wir auf die Idee, die Projekte zu einem, nämlich dem Musikzentrum zusammenzufassen. Auf diese Weise können wir uns auch noch mehr auf die Arbeit mit jungen Leuten und auf Bildung konzentrieren. Das ist genau das, was unsere Region braucht.

2010 hat Rot-Grün die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen abgelöst. Hatte dieser Wechsel Auswirkungen auf das Projekt?

Mehr als 25.000 private Spender haben unser Projekt mit 14,3 Millionen Euro unterstützt. Dies ist eine beeindruckende Zahl, und das fand sicher auch die neue Regierung. Allen war auch bewusst, dass die Spender nicht mit unendlicher Geduld auf die Realisierung „ihres“ Projektes warten würden. Insofern war klar: Hier ist ein wichtiges Projekt, hier gibt es unglaubliches bürgerschaftliches Engagement – und die Uhr tickt. Ich schätze Hannelore Kraft und ihr Team sehr dafür, dass sie sich inhaltlich mit dem Thema auseinandergesetzt und einen Weg gefunden haben, uns in unserem Vorhaben zu unterstützen.

„Kultur für alle“ ist ein Kernziel der Sozialdemokratie. Die Autoren des Buches „Der Kulturinfarkt“ halten es für gescheitert. Halten Sie „Kultur für alle“ für utopisch?

Nein. Aber es muss ernst gemeint sein. Man braucht sehr viele Ideen, Ressourcen und gezielte Programme, die die Leute wirklich erreichen. Ein gutes Beispiel ist das nordrhein-westfälische Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Wenn es nur darum ginge, dass jedes Kind mal ein Instrument in der Hand hält, wäre das uninteressant. Wichtig ist, dass das Individuum die Möglichkeit hat, Kultur zu wirklich erfahren und daran zu wachsen. Das Projekt hat viel Potential, man muss nur darauf achten, dass inhaltliche Ziele verfolgt werden, nicht allein  Zahlen für Statistiken. Es gibt diesen Spruch: tausend ist eine Statistik, eins ist ein Mensch.

Nur etwa die Hälfte der Bevölkerung nutzt kulturelle Angebote. Wie lockt man neue Zuschauerschichten an?

Unser Rezept ist: Nie warten, bis Leute zu uns kommen - wir gehen zu ihnen. Die Bochumer Symphoniker spielen überall – im Kneipenviertel, in Schulen, in Altersheimen, sogar im Gefängnis. Deshalb ist unser Orchester so beliebt, deshalb engagieren sich viele junge Leute.   Das Problem mit der sogenannten Hochkultur ist, dass man manchmal das Gefühl hat, da sitzt jemand auf seinem Thron und wartet bis die Leute kommen. Das ist nicht meine Philosophie.

Die Autoren des Buches „Der Kulturinfarkt“ kritisieren Kultursubventionen in ihrer jetzigen Form. „Von allem zu viel und überall das Gleiche“ lautet ihr Untertitel. Provokanter Vorschlag ist die Schließung von 50 Prozent aller subventionierten Institutionen.

Ich habe das Buch nicht gelesen, halte es aber für gefährlich zu sagen, dass es von allem zuviel gibt und überall das Gleiche gemacht wird. Es geht doch hier um die einzigartige, individuelle Erfahrung, die jemand mit Kunst macht. Die Erfahrung, die der eine in München macht, gleicht doch in keiner Weise der, die ein anderer in Berlin erlebt. Etwas zu streichen führt nicht zu „besserer“ Kultur, sondern schlicht zu weniger! Es ist lohnend, Künstler dabei zu unterstützen, sich etwas Neues auszudenken. Ihre Kreativität bereichert unsere Gesellschaft. Das kann nie zu viel sein. Es ist wichtig, dass so viele Leute wie möglich Kunst erfahren können und dadurch reicher werden.

Ein häufig geäußerter Vorwurf lautet, zu viel Förderung mache satt und lähme Neuerungen.

Die Medaille hat zwei Seiten. Man muss Künstlern die Freiheit geben, ihre Kunst unabhängig von Wirtschaftlichkeit zu entwickeln. Kunst und Kultur haben nicht mit Effizienz zu tun, und unsere Zivilisation ist nicht allein darauf gebaut. Unsere Geschichte ist vielmehr geprägt von großzügigen Gedanken und Visionen. Andererseits ist es wichtig, dass die Macher von Kunst und Kultur den Wert der öffentlichen Gelder schätzen und verantwortungsvoll damit umgehen.

Sie haben einen offenen Brief gegen die Schließung des Kunstmuseums in Bochum mitunterzeichnet. „Kultur ist kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit“, heißt es da.

Brot und Butter ernähren unseren Körper, aber was haben wir für unsere Seele? Das Problem ist: Viele sehen Kunst und Kultur als Zugabe, als Luxus. Ich kann Kultur nur als integralen Bestandteil unseres Lebens, unserer täglichen Begegnung mit der Welt sehen.

In Nordrhein-Westfahlen sind am 13. Mai Neuwahlen. Hoffen Sie auf die Wiederwahl von Rot-Grün?

Ich sehe meine Arbeit als überparteilich und versuche mit allen Politikern eine gemeinsame Sprache zu finden. Andererseits schätze ich Hannelore Kraft sehr, ich habe großen Respekt vor ihr. Mein Kontakt mit ihr und ihren Koalitionspartnern war bisher sehr positiv und konstruktiv.

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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