Kultur

„Ständig an den Pranger gestellt“

von Die Redaktion · 8. September 2006
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Lale Akgün, aus der Türkei stammende Bundestagsabgeordnete, verlangte angesichts der häufig betriebenen "Schwarz-weiß-Malerei" eine differenziertere Sichtweise der Dinge. "Die 'normalen' Muslime müssen sauber von Terroristen getrennt werden", forderte die SPD-Parlamentarierin. "Sie freue sich darauf, dass die jungen Muslime als Betroffene bei der Diskussion selbst zu Wort kommen und ihre Ansichten und Erlebnisse darstellen könnten.

Yeyha (15): "Entweder du bist religiös oder du bist scheiße"

Wir ihr Leben aussieht und was sie glauben, schilderten vier junge Muslime zunächst in einem Filmbeitrag. Die beiden 15-jährigen Jungen Cihan und Yeyha bezeichnen sich zwar als gläubige Muslime. Cihan hat jedoch Probleme mit dem Koranunterricht, weil gleichzeitig Fußballtraining ist. Und Yeyha hat viele Delikte begangen, für die er zahlreiche Anzeigen kassiert hat. "Es ist schwierig, Respekt aufzubauen. Aber man kann jemandem schnell Angst einjagen. Das dauert nur zwei Minuten", erklärt er. Sein kriminelles Verhalten steht für ihn jedoch im Widerspruch zum Islam. "Entweder du bist religiös oder du bist scheiße. Ich bin im Moment scheiße."



Sara (23): "Mir schreibt keiner vor, wie ich leben soll"


Wesentlich differenzierter äußern sich die jungen Frauen Sara und Miriam. Sara, die aus dem Iran stammt, steht dem Islam sehr kritisch gegenüber. Sie könne die strengen Gesetze der Scharia nicht teilen und die Rolle, die der Frau zugedacht ist, nicht akzeptieren. "Niemand hat das Recht, mir vorzuschreiben, wie ich leben soll. Das bestimme ich selbst", betont die 23-jährige selbstbewusst. Die 28-jährige Miriam hat eine andere Auffassung zum Islam. Sie ist gläubige Muslimin und trägt auch das Kopftuch. Allerdings hatte auch sie Schwierigkeiten, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. In der sich anschließenden Diskussionsrunde, an der auch Sara und Lale Akgün teilnahmen, sagte sie: "Als gläubige Muslimin fühlt man sich ständig an den Pranger gestellt." Laufend müsse man beweisen, dass man zu den Guten gehöre.

Sanem Kleff: "Jugendliche nicht den Rattenfängern zum Fraß vorwerfen"

An den Pranger gestellt fühlten sich auch zwei junge Muslime der Heinrich-Heine-Oberschule in Berlin. Nach der Filmvorführung erklärten sie: "Wir fühlen uns beleidigt. Sie haben über uns gelacht, sich über uns lustig gemacht." Ihre Kritik richtete sich wohl in erster Linie an das Publikum, das einige komische Filmszenen durch Lacher kommentiert hatte. Aber auch einige Aussagen des Films schienen für die beiden Jugendlichen eine schwer verdauliche Kost zu sein.

Für Hauptschullehrer Wolfgang Schenk, der 26 Jahre lang in Kreuzberg unterrichtet hat, ein Hinweis darauf, dass sich die Situation viel härter und komplizierter darstellt, als sie der Film vermittelt hat. Das größte Problem aber sei, dass der Islam politisch instrumentalisiert werde. "Labile Jugendliche, deren Leben von Perspektivlosigkeit geprägt ist, bilden ein großes Potenzial für Hassprediger", so Schenk. Dieser letzte Punkt wird auch von Sanem Kleff geteilt. Die Projektleiterin von "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" hob hervor, wie wichtig es sei, den Jugendlichen eine Perspektive zu geben. "Denn sonst werden sie schutzlos den Rattenfängern zum Fraß vorgeworfen."

MdB Akgün: "Muslimische Jugendliche haben ihren Platz in unserer Gesellschaft"

Lale Akgün sieht Handlungsbedarf auf beiden Seiten. "Zum einen müssen die Muslime kritischer werden. Dann kann der Islam auf Augenhöhe mit den anderen Religionen in Deutschland stehen." Zum anderen sei aber auch die Gesellschaft gefordert. "Sie muss unseren Jugendlichen sagen, dass ihr Platz in dieser Gesellschaft ist, dass sie ein Teil dieser Gesellschaft sind", betonte die Abgeordnete in der Diskussion. Diese Ansicht wird auch von der Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus geteilt. "Wir brauchen ein Wir, das die Muslime mit einschließt", unterstrich sie. Dass es positive Ansätze gebe, dieses Ziel zu erreichen, belegte Sanem Kleff mit einem Beispiel. Sie sprach die multikulturelle deutsche Fußballnationalmannschaft der WM an. "Eine solche Mannschaft ist ein besserer Integrationsanker als alle Integrations- und Sozialprogramme", erklärte sie.

Wie schwierig es indes ist, in den Dialog zu treten, zeigt ein einfaches Beispiel. Der zu Beginn der Veranstaltung geäußerte Wunsch Lale Akgüns, die betroffenen Jugendlichen mögen in der Diskussion zu Wort kommen, erfüllte sich nicht. Die wenigen, die zur Veranstaltung gekommen waren, unterhielten sich vor der Tür über ihr Leben und ihre Probleme.



Jürgen Dierkes


(Quelle: eigene Recherche, taz vom 08.09.2006)

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