Kultur

Späte Wahrheiten

von Edda Neumann · 25. September 2008
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Es sei das wichtigste Buch des Herbstes. Dem Autor, ginge es nicht darum, anzuklagen, er versuche etwas Neues, versicherte Jens Bisky zu Beginn der Buchvorstellung von Christhard Läpples neuen Band "Verrat verjährt nicht, Lebensgeschichten aus einem geteilten Land" in Berlin. Läpple erzählt darin von sechs Menschen: Die einen arbeiteten als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) für die Stasi kurz auch IM, die anderen waren deren Opfer. Beide Seiten schildern ihre Sicht auf die Dinge. Läpple möchte weder diffamieren oder abrechnen, noch verharmlosen. Für ihn ist die Zeit reif für einen unverstellten Blick auf die Stasiakten. Das Grundproblem ist nach seiner Auffassung der für viele noch immer schwierige Umgang mit ihrer Stasi-Vergangenheit. Insgesamt gab es über eine halbe Million IM, die ihre Mitmenschen im Dienst des Staates bespitzelten. Die sechs Geschichten hat er aus rund eintausend Biographien ausgewählt, die für einen Dokumentarfilm zum Kalten Krieg ausgewertet wurden. Die Lebenswege führen durch beide Teile Deutschlands. Sie bieten Momentaufnahmen zweier diametraler Gesellschaftsentwürfe. Täter und Opfer Unter Zusicherung der Anonymität erklärten ein Kunstprofessor, ein Museumsdirektor und eine ehemalige Lehrerin, warum sie im Dienst des SED-Regimes ihre Freunde und Kollegen auskundschafteten. Was die Bespitzelung von eigenen Familienmitgliedern bedeuten kann, zeigt die Geschichte von Helene Heller: Beim Lesen ihrer Stasiakte in den neunziger Jahren erfährt sie, dass sie von ihrem Bruder verraten wurde. Er wohnte in Ost-, sie in West-Berlin. Nach dem Lesen wollte Helene Heller von ihrem Bruder erfahren, warum er das gemacht hat. Er verweigerte die Aussprache, stritt stattdessen alles ab und entschuldigte sich noch nicht einmal. Gegenüber Läpple schildert der Bruder und ehemalige LPG-Funktionär, Hans Heller, nun seine Version. Er war ein überzeugter DDR-Bürger und Stasi-Spitzel. Seine Schwester hätte mit ihrer Flucht in den Westen 1962 sein sozialistisches Vaterland und damit auch ihn verraten, bleibt seine Rechtfertigung bis heute. Läpple berichtet aus der Sicht der Täter wie der Opfer. Wolter z.B. verbrachte nach einigen misslungenen Fluchtversuchen seine besten Lebensjahre im Gefängnis. Über seine Zeit im Knast möchte er lieber nicht nachdenken. Aber rückblickend habe sich sein Widerstand gegen die Staatsmacht gelohnt. Die Betriebswirtin Kerstin Starke aus Ostberlin hat ihre selbst geschriebenen Manuskripte einem Journalisten aus dem Westen übergeben. Obwohl keiner ihrer Texte veröffentlicht wurde, kam sie sieben Jahre in Haft. Nach der Wende wurde in ihrem Fall keiner der Stasi-Ermittler zur Rechenschaft gezogen. Einer der Verantwortlichen schaffte es sogar im vereinten Deutschland bis in die Vorstandsetage eines Unternehmens. Warum immer diese alten Geschichten? Nach fast zwanzig Jahren, so Läpple, wirke das Gift der Stasi immer noch. Nicht selten stieß der Autor während seiner Recherchen auf große Widerstände. Dennoch suchte er immer wieder das Gespräch mit ehemaligen IM. Deren Reaktionen waren äußerst unterschiedlich: angedrohte Verleumdungsklagen, panisches Türzuschlagen bzw. Telefonhörer auflegen, aber auch Redebereitschaft. Interessanterweise machte der Autor dabei die Beobachtung, dass Frauen eher zum Sprechen bereit waren als Männer. "Verrat verjährt nicht" ist ein sehr anrührendes Buch. Mit ihm werden die seelischen Verwundungen der Opfer, aber auch die der Täter offensichtlich. So stehen bei letzteren Relativierung und Ausflüchte zu oft anstelle Aufarbeitung. Die Gründe für das Verschweigen sind auf Täterseite häufig Angst vor Entdeckung, aber auch Bequemlichkeit. Bisher basierte der Umgang mit ehemaligen Stasi-Leuten fast immer auf Angriff und Verteidigung. Das Buch geht anders an die Thematik heran. Die Zeit sei reif für Geschichten. Erzählen öffne den Weg zum Verarbeiten, resümierte Läpple am Ende der Buchpräsentation. Zu hoffen ist, dass dieses Buch zu einem weniger krampfhaften Umgang mit diesem Thema anregt und Fortsetzung findet. Christhard Läpple: Verrat verjährt nicht, Lebensgeschichten aus einem geteilten Land, Hoffmann und Campe, 2008, 350 Seiten, 19,95 Euro, ISBN-13 978-3455500882

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