Der öffentliche Diskurs sei für den Erfolg der Reformpolitik entscheidend. Dies stellt Vivien A. Schmidt gleich im einleitenden Aufsatz klar. Nur über ihn könnten die Bürger und insbesondere
die eigene Wählerschaft von der Richtigkeit des Kurses überzeugt werden. Zu berücksichtigen seien dabei die unterschiedlichen politischen Systeme in Europa, die verschiedenen Traditionen und
Probleme in den einzelnen Ländern des Kontinentes.
Nationale Dimensionen
Als erstes Fallbeispiel wird die Politik der Regierung Blair seit 1997 untersucht. Die Reformpolitik konzentrierte sich auf drei Kernbereiche: Gesundheitssystem, Rentensystem und die
Armutsbekämpfung. Auffällig erscheint, dass die Labor-Partei im öffentlichen Diskurs bemüht schien, die tatsächlichen Ziele zu verschleiern. Stets wurde betont, das bestehende Gesundheitssystem
erhalten zu wollen. Obschon unter Blair deutliche Umstrukturierungen vorgenommen wurden, an denen selbst die konservative Regierung gescheitert war. Dies hatte jedoch keinen negativen Effekt auf
die Wiederwahl 2005, da die Politik von der britischen Bevölkerung als erfolgreich begrüßt wurde.
Demgegenüber scheint der Blick auf Deutschland zweischneidig. Einerseits wird Schröder als "Reformator seiner Zeit" und Medienstratege in höchsten Tönen gelobt. Ein anderer Aufsatz stuft
hingegen die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zur Agenda 2010 als klar gescheitert eing. Schröder sei es nicht gelungen die Bürger von den Zielen seiner Reformpolitik zu überzeugen. Das habe die
SPD zahlreiche Wahlen auf Landesebene gekostet.
In den Niederlanden entwickele sich die Sozialpolitik unter völlig anderen Vorzeichen. Hier waren nötige Neujustierungen nicht über Jahre hinausgezögert worden, sondern seit 30 Jahren
gängiges Prinzip. Dennoch schlug sich die erfolgreiche Regierung unter Wim Kok mit einem entscheidendes Problem herum: die wachsende Reformmüdigkeit des Landes.
In weiteren Beiträgen des Bandes werden unter anderem die Reformpolitik Italiens, wo die Sozialdemokraten lange Zeit ohne Regierungsverantwortung waren, die der neuen Demokratien im Osten
Europas in ihrer schwierigen Position zwischen Konservativen und Postkommunisten auf dem Weg zur Marktwirtschaft sowie die Politik in Israel mit besonderem Focus auf den Friedensprozess untersucht.
Europäische Dimension
Und schließlich geht es um die gesamteuropäische Zukunft sozialdemokratischer Politik. Die Autoren kritisieren die geringe Beachtung der EU-Politik in den nationalen Medien. Auch wenn sich
mit deren wachsender Bedeutung ein positiver Trend abzuzeichnen scheint.
Diese europäische Perspektive werde zudem durch strukturelle Probleme eingeschränkt. So existiere zwar die SPE (Sozialdemokratische Partei Europas) als Dach sozialdemokratischer Parteien in
Europa seit 1992, jedoch stünden nach wie vor die Interessen der einzelnen Nationalparteien im Vordergrund. Zudem erschwerten die unterschiedlichen Traditionen und Positionen der einzelnen Länder
einen gemeinsamen Kurs.
Ulf Lindner
Frans Becker/Karl Duffek/Tobias Möschel (Hrsg.): Sozialdemokratische Reformpolitik und Öffentlichkeit, VS Verlag, Wiesbaden 2007, brosch., 215 S., 26,90 €. ISBN: 978-3-531-15508-1
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