Kultur

„Solange niemand nachmisst“

von Birgit Güll · 7. April 2010
placeholder

Eine gute Geschichte braucht ein Abenteuer. Und Nai - weder Junge noch Mädchen, denn das tue nichts zur Sache - möchte ein solches erleben. "Ein sehr meisterhaftes Abenteuer soll es sein, zu dem man großartiges Schuhwerk benötigt." Erzählt wird das Geschehen von einer "Stimme, die ein wenig überall und ein wenig nirgendwo ist". Beschwingt geht es los: "Fernsein heißt Fremdsein, heißt Wogehtslang, heißt Angstundbang, singt Nai." Doch weil so mutlos nichts Meisterhaftes gelingen kann, geht es schnell weiter "Fernsein heißt Gernsein, heißt Hiergehtslang, heißt Sturmunddrang".

Vom Verlassenwerden
Was Nai erlebt ist vordergründig ein eher bescheidenes Abenteuer. Doch bei näherer Betrachtung findet sich darin ganz Existentielles. Nai trifft nicht nur die allerschönste Frau der Welt, sondern auch Naizwei. Genau das sorgt für gehörige Aufregung. "Jemandem zu begegnen, der im Grunde gleichbedeutend ist, mit dem was man selbst ist, das kann einen Tumult aus dem eigenen Inneren heraufbeschwören." So ist Nai auch wenig begeistert. "Wir alle gleichen uns, ohne die Selben zu sein." Daran muss Nai sich erst gewöhnen. "Die Größten sind wir nur, solange niemand nachmisst." - Wem gefällt diese Erkenntnis schon?

Doch Jäckles Hauptfigur muss sich mit dem Du ebenso auseinandersetzen wie mit dem Tod. Der "ist fürwahr ein heikles Thema und niemand stellt hierzu gerne Fragen, denn Heikles ist besser im Ruhezustand zu belassen, zu viele Fragen würden Antworten heraufbeschwören, oder aber unbeantwortet bleiben." Die Autorin allerdings schreckt vor diesem Thema nicht zurück. In lockerleichtem Ton thematisiert sie das Sterben und das Verlassenwerden: "So gehen die Freunde dahin, so geht dahin, auf wen oder was man sich eben noch verließ, und verlassen wird man allemal, wir alle mal".

Vom Erzählen
Mit Nina Jäckles Erzählung ist alles gar nicht so einfach, wie anfänglich vermutet werden könnte. Zwar stolpert Nai ganz unbedarft in und durch das Abenteuer. Doch die Autorin hat mit ihrer Figur Großes vor und reflektiert dabei auch noch über das Erzählen: Da möchte die "Stimme", als auktorialer Erzähler, sich nicht von der "Ahnung" verdrängen lassen - selbst wenn sie bisweilen abschweift. Nur dem inneren Monolog muss sie Raum geben. Und Nai macht es sich bequem, "denn ein Monolog ist nicht das Flinkste auf der Welt. Ein Monolog erstreckt sich möglicherweise über ganze Seiten, ohne dass man ihm ins Wort fallen könnte."

Es macht Freude, Nina Jäckle auf diesem Weg des Spiels mit der Sprache zu folgen. Auf knapp 100 Seiten stößt sie auf ihre höchst originelle Weise Reflexionen an. Und die Moral von der Geschichte? "Das Ende, sehr geehrte Erkenntnis, sollte jeder für sich selbst ausmachen." In diesem Sinne ist das Buch eine Herausforderung für den Leser. Was er daraus macht, bleibt ihm selbst überlassen.

Nina Jäckle: "Nai oder was wie so ist", Klöpfer und Meyer, Tübingen, 2010, 89 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-940086-44-0

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare