Kultur

Social Europe: Gegenentwurf zur neo-liberalen Globalisierung

von Vera Rosigkeit · 21. September 2006

Autoren dieses Werkes sind unter anderen der italienische Außenminister Massimo D'Alema, der italienische Innenminister Giuliano Amato, der tschechische EU Kommissar Vladimir Špidla, der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, der ehemalige dänische Premierminister Poul Nyrup Rasmussen, der ehemalige französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn, der SPD Generalsekretär Hubertus Heil und der amerikanische Vordenker Jeremy Rifkin.

Wirtschaftliche Globalisierung: Wenige Gewinner, viele Verlierer

Wirtschaftliche Globalisierung und der damit einhergehende Marktfundamentalismus haben umfassende Konsequenzen weltweit. Nicht nur in den Entwicklungsländern und in den neuen Boomregionen sind die Auswirkungen entgrenzter Märkte spürbar. Auch in den Industrieländern ändert sich die gesellschaftliche Balance. Trotz ordentlicher Gewinne durch die Globalisierung enthüllt ein genauerer Blick auf die gesellschaftliche Realität, dass bei weitem nicht alle Bereiche der industriellen Volkswirtschaften von den neuen Möglichkeiten profitieren. Vielmehr erzeugt die sich öffnende Schere zwischen wenigen Gewinnern und mehr werdenden Globalisierungsverlierern Friktionen, die nicht nur ethische Ziele wie soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit schwer erreichbar machen, sondern den Zusammenhalt der Gesellschaften als solche bedrohen. Zukunftsangst und Arbeitslosigkeit, neue Konkurrenzen und schwächer werdender demokratischer Einfluss stellen nicht nur die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern die Basis unseres Gesellschaftsverständnisses selbst in Frage.

Das europäische Sozialmodell

Die Europäische Union bildet hier keine Ausnahme. Vielmehr steht sie vor der Aufgabe, gesellschaftliche Zersetzung in den alten Mitgliedsstaaten zu verhindern und gleichzeitig den neuen Mitgliedsländern gerechte Möglichkeiten zur wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu eröffnen. Was sich auf den ersten Blick wie die Quadratur des Kreises anhört, kann gleichwohl erreicht werden. Die konsequente Entwicklung und Verbreitung des europäischen Sozialmodells liefert für diesen schwierigen Integrationsprozess den am besten geeigneten Ansatz. Doch was umfasst das europäische Sozialmodell als Inbegriff sozialstaatlicher Politik in den verschiedenen Teilen Europas eigentlich im einzelnen und was sollte man unter seiner Anwendung in der erweiterten Europäischen Union verstehen?

Kernaufgabe: Zurück zum Primat der Politik

'Social Europe: A Continent's Answer to Market Fundamentalism' geht dieser Frage gründlich nach. Aus sozialdemokratischer Perspektive werden Fragen zur Entwicklung der erweiterten Europäischen Union in Verbindung mit der Umsetzung wohlfahrtsstaatlicher Politik diskutiert. Das erste Drittel des Buches widmet sich der Zukunftsdebatte der EU, die im Zuge der gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden dringender denn je ist. Auf dieser Basis widmet sich der Sammelband im Folgenden der sozialdemokratischen Vision eines sozialen Europas im globalen Gefüge. In diesem Zusammenhang sind nicht nur Möglichkeiten und Aufgaben des Sozialstaats, sondern auch die notwendigen institutionellen Innovationen Gegenstand des Diskurses. Das Kernproblem, dass entgrenzten Märkten keine effektiven Regulierungsinstanzen gegenüberstehen und somit wirtschaftliche Vermachtung keine Sanktionen nach sich zieht, steht im Zentrum der Diskussion. Die Wiederherstellung des Primats der Politik wird hier als eine sozialdemokratische Kernaufgabe definiert. Im letzten Drittel widmet sich der neue Sammelband Fragen, die im erweiterten Sinne zum Themenkomplex "europäisches Sozialmodell" gehören. So werden Fragen gemeinsamer europäischer Begriffsbildung ebenso betrachtet wie die übergreifende Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit.

Die Autoren

Ein besonderes Interesse gewinnt der vorliegende Band durch seine Autoren. Nicht nur dass es gelang, eine selten erreichte Breite beteiligter Nationen herbeizuführen - die Verfasser der Beiträge kommen aus elf verschiedenen Ländern - sondern auch die Mischung aus prominenten Politikern und führenden Wissenschaftlern verdient Aufmerksamkeit. So zählen der amtierende italienische Außenminister Massimo D'Alema und sein Kollege aus dem Inneministerium Giuliano Amato ebenso zu den Autoren wir der tschechische EU-Arbeits- und Sozialkommissar Vladimir Špidla und der ehemalige dänische Premierminister und heutige SPE-Vorsitzende Poul Nyrup Rasmussen. Außerdem machen der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, SPD- Generalsekretär Hubertus Heil, das SPD-Bundesvorstandsmitglied Detlev Albers und die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Angelica Schwall-Düren ihre Positionen deutlich. Abgerundet wird das Werk durch Beitrage des amerikanischen Autors des "europäischen Traums"Jeremy Rifkin und des ehemaligen französischen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn.

Trotz der Relevanz und Dringlichkeit der Frage des "sozialen Europas" im Kontext globaler Entwicklungen gibt es aktuelle politische Literatur bisher nur in unzureichendem Umfang. Hier setzt der vorliegende Band im Besonderen an; er will einen Einstieg in die Debatte liefern und diese als Orientierungspunkt zugleich strukturieren. Die hierfür notwendigen Debatten quer durch Europa haben gerade erst begonnen. Wir werden sie in unserer Zeitschrift "Social Europe" ( www.social-europe.com) weiter vorantreiben.

Von Henning Meyer

Social Europe: A Continent's Answer to Market Fundamentalism

Hg.: Detlev Albers, Stephan Haseler, Henning Meyer; London, 217 S.

Der Buchhandelspreis beträgt 12.99 Pfund, bzw. 18 Euro im Buchhandel (Amazon-Vertrieb, London). Es kann zum Autorenpreis für 10 Euro zuzüglich Versandkosten bezogen werden über Detlev Albers, c/o Bremer Forum für Europäische Regionalpolitik, Enrique-Schmidt-Straße 7 (SFG), 28334 Bremen; eMail: albersd@uni-bremen.de

Social Europe ( www.social-europe.com) ist die erste elektronische Vierteljahreszeitschrift, die sich an die Linke in ganz Europa wendet. Sie versteht sich zugleich als Tribüne ihrer Grundsatzdiskussionen. Social Europe betrachtet die Sozialdemokratische Partei Europas, SPE, und die ihr angehörenden Parteien als politische Heimat.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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