Kultur

„Shalom Italia“: Drei Männer und eine Erinnerung

Eine finstere Höhle rettete sie vor den Nazis. 70 Jahre später suchen drei Brüder nach diesem Ort. Und nach einer gemeinsamen Erinnerung. Der Dokumentarfilm „Shalom Italia“ begleitet sie dabei.
von ohne Autor · 5. Mai 2017
Von Israel in die Toskana: Bubi, Andrea und Emmanuel Anati
Von Israel in die Toskana: Bubi, Andrea und Emmanuel Anati

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“, heißt es in Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“. Wer sich hineinbegibt, kann davon verschluckt werden. Oder mit einem anderen Blick auf das Erlebte auch seinen Platz in der Gegenwart neu entdecken. Es ist die Erinnerung, die uns ausmacht. Auf dieser Prämisse fußt der im mehrfachen Sinne kurzweilige Film von Tamar Tal.

Den Zügen nach Auschwitz entkommen

Die israelische Regisseurin begleitete drei alte Männer bei ihrer Rückkehr zu einem ganz besonderen Ort. Einen ganzen Winter lang hausten Reuven „Bubi“, Andrea und Emmanuel Anati mit zwei Omas, den Eltern und einem weiteren Bruder in einer Erdhöhle irgendwo im toskanischen Apennin. Seit 1943 war die Florentiner Familie jüdischen Glaubens auf der Flucht. Nur durch einen Zufall hatte sie sich aufs Land retten können. So entkamen die Anatis den Zügen nach Auschwitz. 1945 gingen sie nach Palästina.



Warum also die Rückkehr an einen Ort voller schmerzlicher Erfahrungen? Weil die Erinnerung daran so vage sein kann, dass sie einen quält. So erging es Bubi, mit 74 Jahren das Nesthäkchen unter den Brüdern. Im fortgeschrittenen Alter will er endlich Licht ins Dunkel seiner frühen Kindheit bringen. Wie war das Leben in dem dunklen Versteck wirklich? Wie nahmen die Eltern den Kindern die Angst? Gab es Helfer im Dorf? Und wo genau befand sich die Höhle? Dafür ist ist er auf die Berichte der Älteren angewiesen.

Drei unterschiedliche Perspektiven

Wie bei so vielen anderen Überlebenden des Holocausts, die in Israel einen Neuanfang wagten, wurde die Zeit der Verfolgung bei der Familie Anati nur widerwillig angesprochen. Umso schwerer fällt es Bubis Brüdern, nach all den Jahren persönliche Blockaden aufzulösen und zumindest ansatzweise zu einer gemeinsamen Erinnerung zu gelangen. Zu Beginn des Films hat der älteste Bruder Emmanuel noch immer Schwierigkeiten, sich der Vergangenheit zu stellen. Ganz anders Andrea. Je länger die Brüder im italienischen Wald die Höhle aufzuspüren trachten oder ganz einfach die toskanische Küche genießen, desto mehr positive Erinnerungen an die Kriegszeit kommen in ihm hoch. „Ich hatte Spaß während der Shoa“, sagt der agile 82-Jährige ebenso erheitert wie verwundert.

So stehen diese drei Überlebenden für drei verschiedene Formen von Erinnerung beziehungsweise den Umgang damit. Wie kann es, auf die Gesamtheit einer Gesellschaft bezogen, ein kollektives Erinnern geben, wenn sich noch nicht einmal drei Männer darüber einig werden, was sie damals in der Höhle erlebt haben? Und wo genau befand sie sich überhaupt? Welchen Wert haben Erinnerungsberichte für die historische Aufarbeitung?

Suche nach der historischen Wahrheit

„Shalom Italia“ hat allerdings wenig mit geschichtstheoretischen Betrachtungen zu tun. Diese Gedanken stellen sich ganz von selbst ein, wenn man den Anati-Brüdern zuhört. Und die reden vor allem über ihre Familie, wenngleich im Zeichen des Terrors der deutschen Besatzer. Immer schwingt dabei der ganz eigene, oftmals lakonische Humor der Besucher aus Israel mit. Der 37-jährigen Regisseurin, die mit der Dokumentation „Life in Stills“ bekannt geworden ist, gelingt es, die Suche nach der Höhle und der historischen Wahrheit wie ein Abenteuer zu erzählen, das bei all den charakterlichen Unterschieden der Brüder die Solidarität spüren lässt, die die drei bereits in jungen Jahren zu leben verdammt waren. Zudem bleibt Raum für ihre persönlichen Schrullen, was die Auftretenden und damit auch die Erzählung erst recht sympathisch macht.

„Shalom Italia“ ist eine berührende Studie über das psychologische Erbe der NS-Schrecken. Das Grundmuster, also die Frage nach einer gemeinsamen Erinnerung, ließe sich aber auch auf andere Phasen und Schauplätze der Zeitgeschichte übertragen. Vor allem aber ist diese Regiearbeit ein beeindruckendes Zeugnis über den Glauben an das Leben. Und auch darüber, wie man daran scheitert, schmerzhafte Erinnerungen in die Schublade zu verbannen. Irgendwann kommt sowieso der Moment, wo sie wieder aufgezogen wird.


Info: „Shalom Italia“ (Israel/Deutschland 2016), ein Film von Tamar Tal, mit Reuven, Andrea und Emmanuel Anati, 71 Minuten, OmU (Italienisch/Hebräisch). Jetzt im Kino

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