Kultur

Seine Mutter lieben

von Dagmar Günther · 8. November 2007

Wie schaffen wir es, menschlich miteinander umzugehen? Das ist Tahar Ben Yellouns wichtiges Thema. Es beherrscht alle seine Bücher: ob diese nun als Roman daherkommen oder als Interview, ob man sich dem Fluss des Erzählens genüsslich hingeben kann oder sich von Frage und Antwort zu Frage und Antwort hangelt, um zum Beispiel das Entstehen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu durchdenken.

Yemma ist die alte Mutter des heute in Paris und Tanger lebenden und französisch schreibenden marokkanischen Autors. Im vorliegenden Buch beschreibt er ihre letzten Tage - die Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Nöte einer Frau, die an Alzheimer erkrankt ist, deren Sehvermögen immer mehr nachlässt und die zusammen mit zwei Pflegerinnen ein altes Haus in Tanger bewohnt. Das Zusammensein des Sohnes mit seiner Mutter - er besucht sie oft, verbringt ganze Monate mit ihr - gerät dabei zu einer Reise in die Vergangenheit. Oft erkennt sie ihn gar nicht, verwechselt ihn mit längst Verstorbenen.



Eine Geschichte voller Härte, Sanftmut und Verständnis


Niemand wird verurteilt; nicht die depressive Schwester, die nicht imstande ist, ihre Mutter zu pflegen, nicht einmal die hart und geldgierig gewordene Pflegerin Keltoum, die die Mutter bestiehlt. Trauer bestimmt den Ton des Erzählens: um das, was einmal gewesen ist, um das, was ihm wert ist und bleibt.

Analphabetin ist diese Mutter, dreimal verwitwet und doch voller Lebensmut. Der findet am Ende sein Ziel noch darin, würdig von der Welt gehen zu wollen. Ein großes Fest soll der Sohn geben. Alles soll im Hause sein, wonach es die Gäste verlangt.

In unserem aufgeklärten Westen ist es üblich, Menschen mit vorwurfsvoller Stimme zu fragen, warum sie sich einengende Zustände so lange gefallen ließen. Der Autor wünscht sich, Lalla Fethma, seine Mutter, im Gespräch mit der gebildeten und selbstbestimmten europäischen Mutter seines Freundes zu sehen. Doch, er weiß, dafür ist es zu spät. Er erkennt aber auch, dass das feste Verwurzeltsein seiner Mutter in ihrer Welt ihm Halt und Stärke gegeben hat. Die befähigen ihn jetzt, ihr zur Seite zu stehen. Eine unglaublich sanft erzählte Geschichte.

Dorle Gelbhaar

Tahar Ben Jelloun "Yemma - Meine Mutter, mein Kind", aus dem Französischen von Christiane Kayser, Berlin Verlag 2007,206 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-8270-0758-2

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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