Plötzlich ist man Terrorist: In dem Politthriller „Die vierte Macht“ verfängt sich Moritz Bleibtreu in den Armen von Russlands Geheimdienstkrake. Im Interview spricht er über die ungewöhnliche Brisanz seines neuen Films – und warum es darin nicht nur um das System Putin geht.
vorwärts.de: Haben Sie während des Drehs in der Ukraine und Russland etwas von den zunehmenden Protesten gegen die jeweilige Regierung mitbekommen?
Moritz Bleibtreu: Nein. Der Dreh lag weit vor den Protesten und Putins verrückter Entscheidung, wieder als Präsident zu kandidieren. Deswegen ist es so lustig, dass der Film jetzt eine Aktualität gewinnt, die wir überhaupt nicht im Kopf hatten. Im Gegenteil: In der Ukraine hatte ich den Eindruck, da ist die Luft raus. Während der Orangen Revolution vor gut sieben Jahren versammelten sich Hunderttausende auf dem Freiheitsplatz in Kiew. Jetzt standen dort noch 15 Leute mit einer Fackel und einem orangen Hut. Das Land war von absoluter Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit bestimmt. Wir haben drei Tage in Moskau gedreht, den Rest in der Ukraine. Die Produzenten haben es geschafft, dass wir dort arbeiten konnten, ohne dass die Behörden wussten, was wir eigentlich machen. Hätten sie das spitzgekriegt, hätten sie die Motive unerschwinglich teuer gemacht. Ich bin sehr gespannt, wie die Leute in Russland, dem eigentlichen Ort der Handlung, den Film wahrnehmen werden.
Hatten Sie dabei die Schicksale von ermordeten Journalisten wie Anna Politkowskaja im Hinterkopf?
Sicherlich. Dass Journalisten in totalitären Systemen gefährlich leben, ist ja nichts Neues. Das war für mich aber kein ausschlaggebender Grund, diesen Film zu machen. Die Vernetzung von medialer und politischer Macht gibt es in allen Ländern. In Italien kauft man sich den ganzen Laden, um ihn zu kontrollieren. Bei uns macht man es auf die süßeste Art und Weise: Man ruft dort an und spricht dem Chef auf die Mailbox (lacht). Fakt ist: In einer profitorientierten Gesellschaft geht es nicht ohne diese Vernetzung. Es sind immer die gleichen Mechanismen: Du musst den Geldströmen folgen, um zu gucken, wo die Macht sitzt. Aber es gibt kein richtiges Leben im Falschen, wie schon Adorno sagte. Im Westdeutschland der 70er-Jahre haben die Leute daran geglaubt. Heute ist es mit diesem naiven Idealismus aus. Den darf man sich aber nicht nehmen lassen, schon gar nicht von zynischen Realisten.
Haben Sie mittlerweile einen anderen Blick auf Russland, den, wie der Film suggeriert, unheimlichen Nachbarn im Osten?
Nein. Was sollte mir Sorgen bereiten? Wir leben in den sichersten Zeiten, die es je gegeben hat. Der Kalte Krieg hatte unglaublich viele Möglichkeiten, Angst zu potenzieren. Das ist einer der Gründe, warum uns der Terrorismus heute so dominiert: Damit es endlich wieder etwas gibt, wovor wir Angst haben. Man etabliert und bekämpft Feindbilder. Genau darum geht es in „Die vierte Macht“: Was ist Terrorismus? Wo beginnt er? Wo hört revolutionärer Geist auf? Wann wird der Terror von den Geheimdiensten instrumentalisiert? Die Grenzen sind fließend. Ein Volk in Angst lässt sich besser kontrollieren. Außerdem ist es besonders konsumfreudig: Wer Angst hat, versucht, sich zu beruhigen. Bald können wir Huxley und Orwell ein Grußwort nach oben schicken. Vieles von unseren immer totalitärer werdenden Strukturen haben sie vorausgesagt. Die regierenden Eliten glauben, das, was sie tun, sei gut. Leider scheint ihnen die Realität recht zu geben: Nie war das Leben im Westen so friedlich wie heute. Andererseits möchte niemand ein komplett durchsichtiges Leben führen, wo einer ganz oben sitzt und alles kontrolliert.
Inwiefern hat Ihnen der Film die Augen über Russland geöffnet?
Ich war vorher schon oft in Moskau und hatte mich eingehend mit dem Thema befasst. Es ging uns nicht um russische Politik, sondern darum, was bedeutet Terrorismus – wie wird er manipuliert und instrumentalisiert? Was ist der Unterschied zwischen Terroristen und Revoluzzern?
Worin besteht der Ihrer Meinung nach?
Ein Revoluzzer kämpft mit friedlichen Mitteln für Verbesserungen in seinem Land oder anderswo. Dennoch kommt es vor, dass andere ihn einen Terroristen nennen, um ihn zu benutzen. Ob die RAF in der Bundesrepublik oder Italiens Rote Brigaden, die sich selbst als Terroristen bezeichnet haben: Wurden diese Gruppen zu mächtig, haben die Geheimdienste sie infiltriert und instrumentalisiert. Die Brisanz wegen des aktuellen Geschehens in Russland – die Proteste der Opposition gegen Putins geplante Rückkehr in den Kreml – war uns nicht bewusst. Das Timing hätte nicht besser sein können.
Besonders eindringlich sind die Szenen im russischen Geheimdienstknast: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Ich bin kein Method Actor, der sich zwei Wochen lang in eine Gefängniszelle sperren lässt und danach zu wissen glaubt, wie sich ein Häftling fühlt. Lebenserfahrung ist nicht ansatzweise mit einer selbst gewählten Erfahrung emotional zu vergleichen. Ich schaue mir fünf Minuten lang das Bett und das Klo an. Das reicht mir als Vorbereitung. Der Rest ist intuitive und wahrhaftige Arbeit mit einer Situation, dem Text, der Szene und dem Regisseur. Wir hatten am Drehort – ein Gefängnis bei Passau – eine hervorragende Ausstattung, die automatisch eine gewisse Beklemmung mit sich gebracht hat.
Zunächst widerwillig stellt sich der Boulevard-Reporter Paul Jensen der Geschichte seines früh verstorbenen, übermächtigen Journalisten-Vaters. Können Sie diesen Handlungsstrang als Sohn zweier prominenter Schauspieler nachfühlen?
Bis zu einem gewissen Punkt schon. Ich kenne allerdings weniger den Antrieb, jemandem nachzueifern, sondern die Situation, ohne Vater aufzuwachsen. Ich habe damit nie wirklich gehadert, weil mir nichts gefehlt hat. Meine Mutter hat diesen Platz sehr gut ausgefüllt. Ich kann nachfühlen, was es bedeutet, seinen Vater zu vermissen. Mir ging es zum Glück nicht so.
Info: „Die vierte Macht“ (Regie: Dennis Gansel) läuft ab dem 8. März in den Kinos. Weitere Infos unter universal-pictures-international-germany.de