Was macht eigentlich Donald Rumsfeld? In „The Unknown Known“ zeigt der Dokumentarfilmer Errol Morris auf erschütternde Weise, wie sich einer der umstrittensten Politiker auch im Scheitern treu bleibt.
Er galt als Grinsekatze unter den Falken in der Regierung von US-Präsident George W. Bush: Donald Henry Rumsfeld, Jahrgang 1932 und von 2001 bis 2006 Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika. In dieser Funktion war Rumsfeld der Architekt der Invasion in den Irak im Frühjahr 2003.
Im Film zu sehen sind Ausschnitte der launigen Pressekonferenzen, die der Republikaner Rumsfeld damals gerne gab: Etwa als er Staaten wie Frankreich und Deutschland, die den Feldzug ablehnten, als Sinnbilder des „alten Europa“ bezeichnete. Mögen derlei Auftritte, zynisch betrachtet, mitunter unterhaltsam gewesen sein; im Rückblick wird klar, dass Rumsfeld versuchte, der Öffentlichkeit die Notwendigkeit und moralische Güte eines Feldzugs einzureden, der hunderttausende irakische Zivilisten das Leben kostete.
Keine Selbstkritik
Heute ist die Strategie von Bush und Rumsfeld auch in den USA umstritten, belegt doch der derzeitige Vormarsch der islamistischen Terror-Miliz Isis, dass eine Befriedung der Region nicht gelungen ist. Donald Rumsfeld indes scheint Zweifeln und Selbstkritik gegenüber immun. So wirkt er zumindest vor Errol Morris' Kamera. 33 Stunden dauerten die Interviewsitzungen insgesamt. Sicher war der ehemalige Verteidigungsminister gut vorbereitet: Seit seinem Rücktritt vor gut acht Jahren schrieb der Polit-Veteran seine Memoiren. Stoff genug bietet sien Leben, denn Rumsfeld fungierte Ende der 60er Jahre als Berater von Präsident Richard Nixon und war 1975 bis 1977 im Kabinett von Gerald Ford schon einmal Verteidigungsminister. Bis heute wirbt er für den Kreuzzug der Neocons, wie die härteren Konservativen in den USA genannt werden. Wohl wissend, dass die öffentliche Meinung längst ihr Urteil über ihn gefällt hat. Morris ging es gerade deswegen darum, Rumsfeld jenseits der vorgefertigten Denkmuster zu zeigen. Wie denkt er heute darüber, unter dem Vorwand angeblicher Massenvernichtungswaffen in den Irak eingefallen zu sein? Was sagt er dazu, dass angebliche Terrorverdächtige willkürlich in Guantanamo festgehalten und misshandelt werden?
Politik auf 20.000 Zettelchen
Errol Morris ist einer der versiertesten Dokumentarfilmer der USA – vor elf Jahren bekam er für "The Fog of War", eine Doku über den früheren Pentagon-Chef Robert Mcnamara und dessen selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg, einen Oscar. Der Rumsfeld-Film sollte vertrautes Terrain für ihn sein. Um Rumsfelds Motiven nachzuspüren, vergrub sich Morris tief in dessen geistiger Welt. Genauer gesagt: in einem Berg von Memoranden. Jene kryptische Schreiben, die der Konservative schon als junger Kongressabgeordneter vor 50 Jahren unter seinen Mitarbeitern kreisen ließ. Darin erging er sich etwa in Definitionen von politischen Begriffen und Rechtsauffassungen. Allein während seiner Amtszeit unter George W. Bush soll er rund 20.000 dieser Zettelchen angelegt haben. Auf einem vom Mai 2001 heißt es: „Die Abwesenheit von Beweisen ist nicht der Beweis der Abwesenheit.“ Interessant auch im Hinblick auf die Propaganda im Vorfeld des Irakkrieges.
Vor der Kamera liest Rumsfeld aus einigen dieser Texte vor. Währenddessen lassen Filmausschnitte seine politische Karriere Revue passieren oder schauen, teilweise psychedelisch verfremdet, an jene Orte, wo die im Kalten Krieg geschulte Weltsicht des Republikaners („Wer den Frieden will, muss sich auf den Krieg vorbereiten“) umgesetzt wurde: Am Beispiel von Bagdad gerät dieses Nebeneinander besonders beklemmend und hypnotisch.
Die rhetorische Mauer steht noch
Ein anderer Rumsfeld zeigt sich allerdings nicht. Falls Morris die rhetorische Mauer einreißen wollte, mit der sich der noch immer dauergrinsende Ex-Minister umgibt, ist er klar gescheitert. Zwar gelingt es ihm gelegentlich, diesen sonst vor Souveränität strotzenden 81-Jährigen in Widersprüche zu verwickeln. Und mitunter vergeht Rumsfeld gar die freundliche Miene: Etwa bei der Frage, wie es gewesen wäre, seinem Land als Präsident zu dienen. Bei der Erinnerung an einen Besuch bei schwer verletzten Soldaten des Irakkriegs fließen Tränen.
Ansonsten konzentriert sich Rumsfeld aber – wie einst – lieber auf verschwurbelte Definitionen oder joviales Kontern, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen.
Trotzdem ist „The Unknown Known“ äußerst sehenswert. Weil Morris das über Jahre geformte ausschnitthafte Bild dieses mächtigen Mannes in eine Gesamtschau einbettet. Der Filmemacher legt offen, wie ein von seiner Mission überzeugter Karrierist sich eine rhetorische Welt zimmert, um auch die ungeheuerlichsten Ziele durchzusetzen.
Info:
The Unknown Known (USA 2013), ein Film von Errol Morris, 102 Minuten, 80 Minuten.
Ab sofort im Kino.