von Felix Wiedemann
In einem Parforceritt durch die Jahrhunderte erzählt Gil Yaron im ersten Teil des Buches zunächst die wichtigsten Stationen der Geschichte Jerusalems jeweils aus jüdischer, christlicher und
muslimischer Sicht . Im Fokus der Darstellung stehen natürlich die drei zentralen Orte - der jüdische Tempel bzw. die davon übrig gebliebene westliche Mauer (Klagemauer), die Grabeskirche als
wichtigstes Heiligtum des Christentums und der muslimische Haram al Scharif, d.h. das Areal des Tempelbergs mit al-Aqsa-Mosche und Felsendom, von wo aus Mohammed zu seiner Himmelsreise gestartet
sein soll.
Humorvoll weiß der Autor dabei auch von zahlreichen Kuriositäten zu berichten, hat die religiöse Verehrung in Jerusalem doch oft besondere Stilblüten hervorgebracht. Als so genanntes
Jerusalem-Syndrom hat es der religiöse Wahn hier sogar in die Annalen der psychiatrischen Diagnostik geschafft. Auch die in jedem Reiseführer beschriebenen Zwistigkeiten der sechs in der
Grabeskirche vertretenen christlichen Konfessionen sind Legion.
Religion und Macht
Die Verknüpfung von Religion und Politik ist in Jerusalem alles andere als neu. Zweifellos erfüllte bereits die Installierung des Tempels als jüdisches Zentralheiligtum im 7. vorchristlichen
Jahrhundert eine wichtige Funktion als Legitimationsquelle der Herrscher der Stadt. Und vermutlich spielte auch beim Bau des ältesten islamischen Sakralbaus überhaupt, dem Felsendom, die Rivalität
des seinerzeitigen Kalifen mit den konkurrierenden Herrschern aus Mekka und Medina eine Rolle.
Sich des hohen symbolischen Stellenwerts bewusst, haben sich in den nachfolgenden Jahrhunderten vor allem Christen und Muslime immer wieder darin hervorgetan, die jeweils andere Seite durch
'Entweihung' der Heiligtümer zu demütigen. Nachdem etwa der radikale fatimidische Herrscher Kalif al-Hakim 1009 die erste Grabeskirche vollständig niederreißen ließ, funktionierten die Kreuzfahrer
ein Jahrhundert später die Gebetsecke in der al-Aqsa-Mosche in ein Pissoir um und ließen das gesamte Gelände zur Müllhalde verkommen.
Stadt im Konflikt
Fristete die Stadt dann während der osmanischen Herrschaft ein eher beschauliches Schattendasein, so hat die symbolische Funktion Jerusalems im Zuge des Nahost-Konflikts erheblich zugenommen.
Dies belegt etwa die erstaunliche Vermehrung der Heiligtümer seit 1948: Listete die Uno seinerzeit 30 Stätten religiöser Verehrung in der Altstadt auf - was angesichts der geringen Fläche bereits
eine erstaunliche Anzahl ist - so kam eine israelische Kommission bestehend aus Juden, Christen und Muslimen 1998 auf 326 heilige Orte auf diesem Areal.
Ursprünglich hatte sich etwa der Zionismus durch eine eher ambivalente bis ablehnende Einstellung Jerusalem gegenüber ausgezeichnet - die zionistische Musterstadt war immer die moderne
Metropole Tel Aviv. Dies begann sich allerdings nach der Eroberung der Altstadt im Sechs-Tage-Krieg zu ändern: Die Klagemauer stellt spätestens seither nicht nur ein religiöses, sondern auch ein
zentrales nationales Symbol dar.
Aus diesem Grund haben palästinensische Nationalisten und Islamisten die Bedeutung Jerusalems für das Judentum stets negiert, und noch während der gescheiterten Verhandlungen von Camp-David
im Sommer 2000 überraschte Jassir Arafat mit der von arabischen Pseudohistorikern verbreiteten Theorie, es habe hier niemals einen jüdischen Tempel gegeben. Yaron hebt insbesondere die unrühmliche
Rolle des Mufti von Jerusalem und Verbündeten der Nationalsozialisten Amin el Husseini (1873-1974) bei der Verbreitung derartiger Legenden hervor.
Entsprechend werden bis heute archäologische Arbeiten, die Reste des antiken Jerusalems freilegen, von palästinensischer Seite mit Argwohn betrachtet. Jüngstes Beispiel hierfür war die
Kampagne gegen Ausgrabungsarbeiten vor dem Tempelberg im Zuge des Baus einer neuen Zugangsrampe für Touristen im Frühjahr 2007. Im Gegensatz dazu haben die Israelis die religiöse Bedeutung der
christlichen und muslimischen Stätten stets anerkannt und den Aktivitäten von Fanatikern in den eigenen Reihen, die den jüdischen Tempel wieder errichten wollen, einen Riegel vorgeschoben.
Als fatal und skandalös muss hingegen die israelische Jerusalempolitik nach 1967 bezeichnet werden. Eindringlich kritisiert Yaron die Ungleichbehandlung der beiden Stadthälften, die Versuche,
das arabische Ost-Jerusalem durch den Bau jüdischer Siedlungen von der Westbank abzutrennen und die damit verbundene paradoxe Situation, dass immer mehr Araber in 'Groß-Jerusalem' eingemeindet
werden. Davon zeugt auch der Verlauf des teilweise fertig gestellten, weit in die Westbank reichenden Sicherheitszauns im Jerusalemer Raum.
Gretchenfrage
Jerusalem ist zweifellos das Schlüsselelement des ganzen Konflikts. Beobachternzufolge sind die Verhandlungen in Camp-David schließlich weniger an der Land- und Siedlungsfrage und noch nicht
einmal mehr so sehr am so genannten Rückkehrrecht der Flüchtlinge von 1948, sondern vor allem an der Jerusalemfrage gescheitert. Kompromisse scheinen hier schon allein deshalb kaum möglich, weil es
sich bei Klagemauer und Tempelberg um dasselbe Areal handelt. So ist für Israel natürlich eine Rückkehr zu den Zuständen vor 1967, als das jüdische Viertel der Altstadt in Trümmern lag und Juden
der Zugang zur Klagemauer verwehrt war, nicht hinnehmbar.
Ebenso wenig freilich werden die Palästinenser einen eigenen Staat ohne Altstadt und Souveränität am Haram akzeptieren. Wohltuend anders als dies viele europäische Beobachter zu tun pflegen,
bietet Yaron auch keine einfachen Lösungsvorschläge und schließt mit der pessimistischen, aber wohl realistischen Vorhersage, dass man sich bis auf weiteres auf den Fortgang dieses Konflikts
einstellen müsse.
Trotz allem hebt der Autor zur Recht aber immer auch die schönen und faszinierenden Seiten einer Stadt hervor, die im Vergleich zu den touristischen Zen¬tren West- und Südeuropas sogar als
ziemlich sicher gelten kann (Kriminalität spielt hier kaum eine Rolle). Nicht nur als Lektüre zur Reisevorbereitung, sondern auch als generelle Einführung in die Geschichte Jerusalems und des
Nahost-Konfliktes ist das gut geschriebene und im Anhang mit Routenvorschlägen versehene Buch eine lohnende Anschaffung.
Gil Yaron, Jerusalem. Ein Historisch-politischer Stadtführer, C.H. Beck Verlag, München 2007, 239 S., 12,90 €.
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